Karen Kliewe: Die Brandung – Leichenfischer. Ein Ostsee-Krimi, Band 2 der Reihe

Karen Kliewe: Die Brandung – Leichenfischer. Ein Ostsee-Krimi, Band 2 der Reihe, München 2024, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-264174-5, Klappenbroschur, 416 Seiten, Format: 13,6 x 3,4 x 21 cm, Buch: EUR 16,00 (D), EUR 16,50 (A), Kindle: EUR 12,99. Auch als Hörbuch lieferbar.

Abb.: (c) dtv

„Ihr Täter fuhr also durch ganz Deutschland, tötete junge Frauen und vergrub sie weit entfernt von ihrem Lebensumfeld. […] Ohlsen beschlich ein mieses Gefühl. Wenn wie es mit jemandem zu tun hatten, der sich weder bei der Wahl seiner Opfer noch bei der des Ablageortes ihrer Leichen einem bestimmten Raum zuordnen ließ, erschwerte das ihre Ermittlungen.“

(Seite 113)

Band 1 der Reihe, MOORENGEL, habe ich gelesen. Das Stammpersonal kenne ich also: Hauptkommissar Ohlsen von der Kripo Flensburg/Außenstelle Norgaard plus Kolleginnen und Kollegen und die dänische Archäologin Fria Svensson, die aus einer Polizistenfamilie stammt und gelegentlich als Beraterin für die Polizei diesseits und jenseits der dänischen Grenze arbeitet.

Es wuselt hier aber so viel zusätzliches Romanpersonal herum, dass ich mir während des Lesens ein zweiseitiges Personenverzeichnis angelegt habe, um den Überblick zu behalten. Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus sechs Perspektiven. Wenn man die ermittelnden Beamten einzeln zählt, sind es sogar noch mehr.

Den „Hauptcast“ finde ich klasse: Fria Svensson, die das Wissen einer Archäologin und Historikerin hat und denkt wie eine Polizistin. Und das nicht nur wegen ihrer Familie, sondern weil sie selbst eine (abgebrochene) Polizeiausbildung hat. Ihr Privatleben ist auch nicht ohne: WG-Mitbewohner Marten, der exzentrische Künstler, sorgt immer wieder für Aufregung.

Und dann ist da noch Hauptkommissar Ohlsen, wortkarg, grantig und stets im Zweifel, ob seine Beziehung mit der abenteuerlustigen Industriekletterin Lies Kallsen eine Zukunft hat. Sie sehen einander viel zu selten. Und eigentlich ist Lies sein Leben viel zu langweilig und Ohlsen das ihre zu unstet und zu aufregend.

Der aktuelle Fall: Bei archäologischen Ausgrabungen in der Nähe von Flensburg stößt Frias Team auf eine weibliche Leiche, die trotz Bestattung nach Wikinger-Art erst seit ein paar Monaten da liegt.

Fria ist beleidigt, weil Ohlsen und seine Leute nicht sie als Beraterin beauftragen, sondern einen Ur- und Frühgeschichtler aus Deutschland. Am liebsten würde sie den deutschen Polizisten trotzig vorenthalten, dass ihre Brüder in Dänemark an einem ganz ähnlichen Fall arbeiten. Das bringt sie dann doch nicht fertig, weil’s einfach unprofessionell wäre.

Nun ermitteln die Deutschen zusammen mit den Dänen und fragen sich: Was hatten die toten Frauen gemeinsam, außer dass sie ungefähr gleichaltrig waren? Die eine stammte aus Ingolstadt, die andere aus Mönchengladbach, sie hatten unterschiedliche Interessen und Berufe, nichts mit Wikingern am Hut und sahen einander auch nicht ähnlich. Zufallsopfer? Aber wer tötet willkürlich Frauen aus weit entfernten Gegenden und bringt sie dann hoch in den Norden, um sie dort zu bestatten? Jemand, der beruflich dauernd auf Achse ist, vermutlich. Also ein Außendienstler, Monteur oder Fernfahrer?

Wer und warum, das wissen wir Leser:innen auch nicht. Was uns die Autorin aber wissen lässt, ist, dass zwei weitere junge Frauen von einer maskierten Person gefangen gehalten werden – eine sehr ängstliche, unterwürfige und eine zähe Kämpferin. Die zwei wissen nichts voneinander. Sie haben keine Ahnung, wie und warum sie zum Opfer wurden und weshalb die Maskierte sie mit grausamen Psychospielchen quält. Es ist doch eine Frau, oder?

Außerdem erfahren wir, dass die Studentin Samantha von einem Kommilitonen gestalkt wird.

Worauf wir uns lange keinen Reim machen können: auf die immer wieder „eingeblendeten“ wirren Gedankengänge einer naiven jungen Mutter, die einem dominanten Mann ausgeliefert ist. Was tatsächlich geschieht und was sie sich nur einbildet oder ausdenkt, bleibt im Dunkeln.

Bald geht es dem Leser wie den Ermittlern: Wir sind völlig ratlos und verdächtigen alles, was sich bewegt. 😉

Dann gelingt einer der gefangenen Frauen die Flucht, doch sie ist derart verängstigt und traumatisiert, dass sie niemandem zu sagen wagt, was ihr zugestoßen ist. Stattdessen erzählt sie eine wilde Geschichte, die ihr niemand glaubt.

Irgendwann kommt der Punkt, an dem alle erleichtert aufatmen und denken, jetzt sei der Spuk vorbei. Doch wir Leser:innen wissen, dass irgendwo noch eine Frau gefangen gehalten wird, deren Schicksal nun besiegelt zu sein scheint. Aber vielleicht ist die Geschichte in Wahrheit noch viel komplizierter …

Ich mag das Stammpersonal und vor allem Frias Art zu denken. Auch das Privatleben der Ermittler wird so wohldosiert beschrieben, dass es einen neugierig macht und nicht nervt – was ich sehr zu schätzen weiß!

Schwierigkeiten habe ich ein wenig mit den Kriminalfällen. Wenn man zu einer Mordermittlung Archäologen hinzuziehen muss, ist man fast zwangsläufig im Themenbereich „Psychopath inszeniert den Tatort / den Fundort / das Opfer nach einem historischen Vorbild“. Weil man als Durchschnittsleser nicht so genau weiß, was im Kopf eines solchen Täters vorgeht, kann man bei der Tätersuche auch nicht richtig mitraten. Für die Spannung gibt’s dann viele Verdächtige, eine Menge falscher Fährten sowie schnelle Perspektivwechsel mit Cliffhangern. Und die Auflösung am Schluss muss man eben glauben.

Wenn in den Folgebänden nicht irgendwann ein Mord geschieht, bei dem Kunstfälschung, Raubgrabungen, Schmuggel oder der Diebstahl antiker Artefakte die Expertise eines Archäologen erfordern, gibt es aus diesem Schema kein Entkommen.

Ich bin gespannt, wie das bei Band 3 ist. Den möchte ich schon noch lesen. Ich muss wissen, was mit Poul los ist, dem neuen Freund von Frias WG-Mitbewohner Marten! Mit dem Kerl stimmt doch was nicht!

Karen Kliewe, Jahrgang 1970, hat als Fotografin, Illustratorin und Grafik-Designerin gearbeitet, bevor sie das Krimi-Schreiben entdeckte. Sie lebt mit ihrer Familie im Westfälischen.

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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
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