Tina Zang: Total verflimst, Esslingen 2012, Esslinger Verlag Schreiber, ISBN 978-3-480-22963-5, Hardcover, 125 Seiten, mit zahlreichen Illustrationen von Karin Schliehe und Bernhard Mark, Format: 15 x 21 x 1,4 cm, EUR 9,95 (D), EUR 10,30 (A).
In der Villa Bernstein gibt’s derzeit drei normale Lebewesen: Tochter Isi (9), Gärtner Jockel und Pudel Paulchen. Der Rest der Familie dreht vollkommen am Rad, weil in wenigen Tagen Isis große Schwester Melissa den Sohn einer Adelsfamilie heiraten wird. Zur Hochzeitsfeier wird nicht nur die gesamte Sippschaft erwartet sondern auch noch Presse, Funk und Fernsehen. Vor lauter Organisieren, Dekorieren und Delegieren weiß Mami nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Auch Papi ist in die Hochzeitsvorbereitungen eingebunden und hat keine Zeit für seine Jüngste.
Isis Versuch, sich nützlich zu machen, geht voll daneben. Zwar schafft es die kleine Chaotin, bei der Bäckerei Früh die bestellten „Pötifuhr“ abzuholen, wird aber auf dem Heimweg von zwei miesen Kerlen überfallen und beraubt. Pudel Paul kann das nicht verhindern. Die „Pötifuhr“ sind futsch. Klammheimlich Ersatz zu besorgen ist schwierig. Isi hat nämlich vor dem Überfall nicht in den Karton geschaut und weiß nicht, was das überhaupt für Dinger sind.
Sie zieht sich mit Hund Paulchen in einen abgelegenen Gebäudeflügel zurück und verkrümelt sich in der dortigen Rumpelkammer. Da will sie in Ruhe nachdenken. Doch dazu kommt sie nicht. Aus dem Nichts taucht plötzlich ein alter, verschrammter Koffer auf. Ihm entsteigt ein schmächtiger Junge mit zitronengelben Haaren, tanzenden Sommersprossen und merkwürdigen Klamotten. Er stellt sich als „Wu Dudummenuss“ vor und erklärt, ein Anders-Endianer zu sein und sich auf dem Weg zur Magiothek total verflimst zu haben, weil er den Durcheinanderwirbelzauber irgendwie vermasselt hat. Und Pudel Paul hält er für einen feuerspeienden Drachen.
Isi versteht nur Bahnhof. Doch so nach und nach ergibt das alles einen Sinn: Wu kommt aus einer Welt, in der man mittels Magie in Koffern reist („flimst“). Hunde haben in seiner Heimat Flügel und können Feuer speien. Und eine Magiothek ist so etwas wie eine Bibliothek, nur dass man dort keine Bücher, sondern magische Gegenstände ausleihen kann. Wenn man die nicht auf die Sekunde pünktlich zurückbringt, wird man hart bestraft. Und Wu ist schon sehr spät dran, weil er sich unterwegs verirrt hat.
Isi überredet Wu, sie mit in seine Welt zu nehmen. Hier in der Villa wird sie während der Hochzeitsvorbereitungen sowieso keiner vermissen. „Großes Ehrenwort“, sage ich. „Ich fasse nichts an und mache keinen Quatsch. Ich schaue nur ein bisschen.“ (Seite 65) Also krabbeln beide in Wus Koffer und flimsen los.
Isi kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wus Heimat hat in der Tat ein paar hochinteressante und überaus praktische Besonderheiten!
In der Magiothek besteht ein silbernes Amulett darauf, von Isi ausgeliehen zu werden. Und für diesen Vorgang gibt es strenge Regeln: Siebenundsiebzig Minuten lang hat Isi besondere magische Fähigkeiten. In der Zeit muss sie eine Aufgabe lösen. Schafft sie es und bringt sie das Amulett pünktlich zurück, bekommt sie eine Belohnung. Wenn nicht, glaubt man ihr drei Tage lang kein Wort. Eine entsetzliche Vorstellung für das Mädchen!
Doch Isi hat keine Wahl. Mit Wu, dem Pudel und dem Amulett kehrt sie in ihre Welt zurück. Ob sie ihre magischen Kräfte dazu benutzen kann, ihre Aufgabe zu lösen und die geraubten „Pötifuhrs“ wiederzubeschaffen? Ihr Plan klingt gut. Aber so einfach, wie Isi sich das vorstellt, ist das nicht mit der Magie …
Als erwachsener Leser möchte man sofort ein paar Schränke aus der Welt der Anders-Endianer. Am besten gleich ein ganzes Haus! Oder wenigstens entsprechend ausgestattete Kinderzimmer, die sich immer um Mitternacht … stopp! Das wird hier nicht verraten!
Bei Kindern werden vor allem die aussagekräftigen Eigennamen Anders-Endianer für Lachanfälle sorgen. Gut möglich, dass sich die jungen Leser auf einmal für ihre ganz normal irdischen Mitmenschen anders-endianische Familiennamen ausdenken. Man ertappt sich ja als Erwachsener dabei!
Wenn alle Menschen so interessiert und unbefangen auf vollkommen fremde Kulturen zugehen würden wie Isi und Wu, hätte unser Ende der Welt ein paar Probleme weniger. Doch vermutlich ist das eine der kindlichen Fähigkeiten, die man nicht ins Erwachsenenleben hinüberretten kann. Isi und Wu haben sie noch, und so erzählt dieses Buch von einer spannenden Entdeckungsreise voller Witz und Überraschungen. Es macht ganz einfach Spaß!
Die lustigen Illustrationen sind liebevoll und detailreich ausgeführt und bringen die Szenen auf den Punkt. Interessant, was Karin Schliehe und Bernhard Mark alles mit Mustern und Strukturen anstellen. Und wie sie selbst Satzspiegel, Schrift und Seitenfarbe in die Gestaltung mit einbeziehen. Hier steht die Schrift auf der linken Seite schräg, weil sie der perspektivischen Darstellung des Spiegels folgt.
Und wenn’s in einer Szene dunkel ist, ist die Seite dunkelgrau und die Schrift weiß. Man kommt sich schon fast vor wie in einem Film. Wir Leser würden uns sogar Melissas rosa-kitschige Albtraumhochzeit ansehen, wenn die beiden Künstler sie zeichneten. Aus ihrer Feder wäre das bestimmt lustig!
Schade, dass die Geschichte schon zu Ende ist. Isi, Wu und Paulchen hätten gern noch ein Weilchen Chaos verbreitend durch die Gegend flimsen dürfen.
Die Autorin
Tina Zang wurde 1960 in Backnang (bei Stuttgart) geboren. In Heidelberg studierte sie Physik und Sprachen, arbeitete für ein Übersetzungsbüro und machte sich schließlich als Autorin selbständig. Sie lebt mit ihrer Familie auf dem Land und schaut beim Schreiben ins Grüne. Unter dem Namen Christine Spindler schreibt sie Krimis für Erwachsene, die zum Teil in den USA erscheinen.
Rezensent: Edith Nebel
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