Patricia Mennen: Der Ruf des indischen Elefanten (Jugendbuch, 14 – 17 Jahre)

Patricia Mennen: Der Ruf des indischen Elefanten, Münster 2015, Coppenrath Verlag, ISBN 978-3-649-61755-6, Hardcover, 381 Seiten, Format: 14,4 x 4 x 21,3 cm, Buch: EUR 16,95, Kindle Edition: 12,99.

Abbildung: (c) Coppenrath Verlag
Abbildung: (c) Coppenrath Verlag

„Auf dem Elefanten ruht ein besonderer und sehr mächtiger Zauber“, erklärte sie mit ernster Überzeugung.“ Seine Macht mag lange im Verborgenen liegen, doch eines Tages wird er zusammenfügen, was zusammengehört.“ (S. 17)

Irland 1855: Nach einem schweren Unfall bleiben dem 16jährigen Kindermädchen Tara Harley nur noch zwei Angehörige: ihr versoffener Onkel Fergus, der ihr jeden Sonntag den kompletten Lohn abknöpft – und ihr Vater, ein englischer Soldat, den sie nie kennengelernt hat. Als der Onkel ihr auch noch an die Wäsche geht, ist Schluss mit lustig. Tara schlägt ihn mit einer Whiskeyflasche k.o. und flüchtet. In ihrem Dorf kann sie nicht bleiben. Wenn der Onkel noch lebt, wird er sie umbringen, sobald er sich erholt hat. Wenn sie ihn erschlagen hat, stecken die „Rotröcke“ sie ins Gefängnis.

Tara sieht nur noch eine Chance: Sie muss nach Indien, wo sie ihren Vater Henry vermutet. Viele Anhaltspunkte für die Suche nach ihm hat sie nicht. Sie besitzt nur einen Brief mit seinem Namen und eine Kette mit einem Elefanten-Amulett aus Jade, die er ihrer Mutter einmal geschenkt hat. Taras Eltern waren nie miteinander verheiratet – auch wenn ihre Mutter das immer behauptet hat – und Henry hat keine Ahnung, dass er eine Tochter hat. Das geht aus seinem Abschiedsbrief hervor, den Taras Mutter ihr hinterlassen hat.

Das Elefanten-Amulett hat angeblich magische Kräfte und soll seinen Träger beschützen. Und Schutz kann Tara gerade gut gebrauchen. Ohne Geld und nur mit den Kleidern, die sie am Leibe trägt, schlägt sie sich nach Liverpool durch. Unterwegs verwandelt sie sich mit gestohlener Männerkleidung und abgesäbelten Locken in den jungen Burschen „George“. Ein Mann reist eben sicherer und unauffälliger als ein unbegleitetes Mädchen.

Im Hafen von Liverpool begegnet sie dem 17jährigen Schiffsjungen Kasim, der aus familiären Gründen dringend zurück nach Indien muss. Auch wenn dem attraktiven Halbinder das zunächst lästig ist, schließt „George“ sich ihm an. Gemeinsam heuern sie auf der „Pride of Slaves“ an, einem üblen Seelenverkäufer, der auf dem Weg nach Bombay ist. Die Überfahrt ist hart und gefährlich, und in einer besonders brenzligen Situation macht „George“ erstmals Bekanntschaft mit der magischen Kraft des Elefanten-Amuletts.

Nur mit knapper Not schaffen es „George“ und Kasim nach Bombay. Dort sollten sich eigentlich ihre Wege trennen. Er muss nach Surat zu seiner Mutter, Tara hat auf dem Kolonialamt erfahren, dass ihr Vater viel weiter nordöstlich in Lucknow stationiert ist. Doch schneller als gedacht begegnen sie einander wieder. Taras magischer Jade-Elefant ist daran nicht ganz unschuldig: Er fungiert die ganze Zeit über als Wegweiser, Warner und Ratgeber.

In den kommenden Monaten verläuft ihre Reise nach einem bestimmten Muster: Sie sind eine gewisse Zeit gemeinsam unterwegs, geraten in Streit, einer rennt beleidigt weg, der andere reist ihm nach einer Schmollphase doch wieder hinterher, und das Spiel geht von vorne los.

So ist „George“ eine Weile als Bursche des englischen Lieutenant Webster gen Norden unterwegs und kommt durch ihn zu Reisegefährtin Lola, einer cleveren und zutraulichen Hanuman-Affendame. Kasim schließt sich unterdessen indischen Rebellen an. Nicht aus Überzeugung, sondern weil er zufällig auf den Waffenhändler Rahul trifft. In Sachen Loyalität ist er recht flexibel.

In Jhansi treffen die beiden zufällig wieder zusammen und retten einem leichtsinnigen kleinen Prinzen das Leben. Seine Mutter, die Rana von Jhansi, ist ihnen unendlich dankbar, und sie könnten sich dort niederlassen. Doch daraus wird nichts. Tara will unbedingt zu ihrem Vater – und Kasim findet endlich heraus, dass „George“ in Wirklichkeit ein Mädchen ist. Statt dass er erleichtert darüber ist – er war schon ganz durcheinander, weil er sich zu dem spillerigen Irenbengel hingezogen gefühlt hat – rennt er wieder mal beleidigt davon. Der Kerl ist soooo eine Drama-Queen! Aber gut: Er ist erst 17, da vertut sich das vielleicht noch.

Etliche Wochen, Meilen, Abenteuer, Streitereien und Versöhnungen später kommen sie schließlich in Lucknow an. Erst sie – und wenig später auch er. Und sie geraten mitten in den Sepoy-Aufstand. Die Stadt ist belagert, und es geht ums nackte Überleben, da ist für das Regeln verzwickter Familien- und Beziehungsangelegenheiten keine Zeit. Erst lässt man Tara nicht zu ihrem mutmaßlichen Vater vor, dann wird er schwer verwundet und ist nicht ansprechbar.

Tara wird als Pflegehelferin im Lazarett und zur Betreuung der Waisenkinder eingespannt, Kasim geht unterdessen dem Zivilbeamten der Ostindischen Handelsgesellschaft Thomas Kavanagh zur Hand. Und langsam wird die Lage kritisch. Wenn nicht bald militärische Verstärkung kommt, wird Lucknow von den Aufständischen überrannt …

DER RUF DES INDISCHEN ELEFANTEN ist ein spannender Abenteuerschmöker vor historischer Kulisse, verbunden mit ein bisschen Magie und einer zarten Liebesgeschichte, passend für die jugendliche Zielgruppe. Also keine expliziten Szenen. Held und Heldin sind manchmal erschreckend impulsiv, zickig und blauäugig, aber, he, das sind Teenager!

Selbst als erwachsenem Leser fällt es einem schwer, die Lektüre zu unterbrechen, weil man unbedingt wissen will, wie es ausgeht. Wird die mittellose Tara es tatsächlich schaffen, sich von einem kleinen Kaff in Irland bis in den indischen Bundesstaat Uttar Pradesh durchzuschlagen? Der grenzt an Nepal, das ist ja kein Spaziergang! Wird sie mit den spärlichen Angaben, die sie hat, ihren Vater wirklich finden? Und wenn ja, wie wird er auf das Auftauchen seiner unehelichen Tochter reagieren? Große Freude ist da nicht zu erwarten.

In diesem Buch reiht sich Abenteuer an Abenteuer. Da kann man nicht alles bis ins Letzte auserzählen. Und so wirkt die eine oder andere Episode ein bisschen „abgewürgt“. Gerade haben sich die Helden so richtig fies in eine Notlage manövriert und man fragt sich nägelkauend, wie sie da wohl wieder rauskommen, blättert um – und es ist bereits wieder alles in Butter. Ganz zufällig ist gerade jemand vorbeigekommen und hat rettend eingegriffen oder die Situation hat sich ohne nähere Erklärung irgendwie entspannt. Ich denke da z.B. an die Szene im Hafen von Bombay und die Sache mit den Tigerbabys. Auch Prinz Salim und die Äffin Lola sind auf wundersame Weise genau dann zur Stelle, wenn man sie braucht. Und dass Thomas Kavanagh in Lucknow weilt, ist blanker Dusel …

Okay: Hätte die Autorin immer gewartet, bis sich ihre Helden selbst aus dem Schlamassel befreien, wäre entweder eine mehrbändige Serie aus der Story geworden, oder Tara und Kasim wären gar nicht erst in Lucknow angekommen. Da will ich mal nicht so sein. Die Geschichte ist ausgesprochen spannend und unterhaltsam und die eine oder andere Information über Indien und die Kolonialzeit wird vermutlich auch hängenbleiben. Also ran ans Lesevergnügen!

Die Autorin
Patricia Mennen, geboren 1961 in Augsburg, machte ihren Magister in Germanistik und Kunstgeschichte in München, bevor sie einige Jahre als Redakteurin in einem Kinderbuchverlag arbeitete. Als Tochter eines Erfinders kam sie schon als Kind viel in der Weltgeschichte herum und entdeckte dort ihre Lust am Geschichtenerzählen. Als ihre erste Tochter geboren wurde, machte sie ihr Hobby zum Beruf. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt die Autorin abwechselnd in der Nähe des Bodensees und in der Provence.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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