Lyndsay Faye: Das Feuer der Freiheit – Roman

Lyndsay Faye: Das Feuer der Freiheit, OT: The Fatal Flame, Deutsch von Michaela Meßner, München 2016, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, 978-3-423-26086-2, Klappenbroschur, 523 Seiten, Format: 13,4 x 4,3 x 21,1 cm, Buch: EUR15,90 (D), EUR 16,40 (A), Kindle Edition: EUR 12,99.

Abbildung: (c) dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
Abbildung: (c) dtv Deutscher Taschenbuch Verlag

Dies ist der dritte und abschließende Band der historischen Krimireihe um den Polizisten Timothy Wilde.

New York 1848, in der Anfangszeit des New York Police Departments: Zweimal hat Timothy Wilde, 30, der Kupfersternpolizist mit dem Talent für detektivische Ermittlungsarbeit, schon alles bei einer Brandkatastrophe verloren: als Kind seine Eltern und sein Zuhause und vor drei Jahren all sein Hab und Gut. Dabei hat er ein paar auffallende Brandnarben im Gesicht davongetragen. Dass er weiche Knie bekommt sobald etwas mit Feuer zu tun hat, ist also kein Wunder. Entsprechend zögerlich ist er, als er in einem Fall von Brandstiftung ermitteln muss.

Brandstiftung in New York


Der Stadtrat und Fabrikbesitzer Robert Symmes bekommt Drohbriefe, in denen das Abfackeln seiner Immobilien angekündigt wird. Als tatsächlich eine der Mietskasernen abbrennt und zwei Bewohnerinnen ums Leben kommen, wird klar, dass der Briefeschreiber es ernst meint.

Da die anonymen Schreiben gedruckt waren, verdächtigt Symmes seine ehemalige Mitarbeiterin, die Frauenrechtlerin Sally Woods, die jetzt die Druckerei ihres verstorbenen Vaters betreibt. Sally wohnt in einem Gewächshaus, trägt Männerkleidung und äußert sich Tim Wilde gegenüber nur sehr vage über ihre Vorgeschichte mit Symmes. Ein Streik spielt dabei eine Rolle, ein Zeitungsartikel und irgendetwas namenlos Schreckliches, das ihrer Schulfreundin Ellie Abell angetan wurde. Sally Woods ist eine intelligente und überaus gebildete Frau. Würde sie nicht subtiler vorgehen, wenn sie sich an Symmes rächen wollte?

Wer ist der Feuerteufel?


Die blutjunge irische Näherin Dunla Duffy könnte mehr über die Brandstiftung wissen. Jemand hat ihr eine schriftliche Warnung zugesteckt, ehe das Haus, in dem sie gewohnt hat, in Flammen aufging. „Ich fürchte, meine Freundin hat die Absicht, euer Haus anzuzünden und euch bei lebendigem Leibe zu verbrennen“, steht darin (Seite 116). Aber Dunla kann nicht lesen und ist nicht die hellste Kerze auf der Torte. Sie gibt Tim den Brief erst, als es schon zu spät ist. Aus ihren kryptischen Andeutungen wird er nicht schlau. Sie kann nicht mal sagen, wer ihr die Notiz gegeben hat.

Tim quartiert die obdachlos gewordene Dunla kurzerhand bei seiner Jugendfreundin und unerfüllten Liebe Mercy Underhill ein. Die ist nämlich wieder aus England zurückgekehrt. Das mit der Schriftstellerkarriere hat nicht geklappt, jetzt wohnt sie mit ein paar Schauspielern in einer Pension und ist wieder ganz ihr wohltätiges, rehäugiges und verschwurbeltes Selbst.

Politische Karriere in der Schlangengrube


Und wie das Leben so spielt, ist dieser psychisch belastende Fall nicht das einzige Problem, das der „Cop“ an der Backe hat. Sein älterer Bruder Valentine, Feuerwehrmann und Polizeicaptain, der immer wie eine skrupellose und überlebensgroße Version von Tim wirkt, lässt sich überraschend als Kandidat für die kommenden Stadtratswahlen aufstellen. Damit tritt er gegen Symmes an, was diesem natürlich nicht in den Kram passt. Auch Silkie Marsh, die soziopathische Bordellbesitzerin, hat irgendwie die Finger in der Geschichte. Symmes ist ihr Vermieter, ihm gehört das Bordell. Aber sie unterstützt bei den Wahlen lieber ihren früheren Liebhaber Valentine Wilde. Sagt sie. Bei ihr weiß man nie …

Tim hält Valentines politische Karrierepläne mit Recht für lebensgefährlich. Die Tammany, die Demokratische Partei in New York City, ist eine Schlangengrube. Symmes gegen Wilde, die „Barnburner“ gegen die „Hunker“, jeder gegen jeden. Und wenn’s bei den Machtkämpfen mal ein paar Tote gibt, ja nun, das gehört dort zum Geschäft.

Elena Boehm, Witwe, Bäckerin, Tims Vermieterin und Geliebte sortiert ihr Leben auch gerade neu. Die seltsame Unverbindlichkeit, die der Polizist in ihrer Beziehung an den Tag legt, genügt ihr nicht mehr. Als Mercy Underhill wieder auf der Bildfläche erscheint, sieht Elena ihre Felle davonschwimmen.

Angehörige geraten in Gefahr


Und dann ist da auch noch Bird Daly, mittlerweile 14, die Tim aus der Kinderprostitution befreit hat und für die er seitdem zu einer Art Vaterersatz geworden ist. Sie geht auf eine katholische Schule wird so langsam flügge. Pech nur, dass sie sich ausgerechnet in den Pianisten James Playfair verliebt. Der ist zwar ein vollendeter britischer Gentleman, aber er steht nicht auf Frauen und hat seit Jahren ein heimliches Verhältnis mit Tims b i s e x u e l l e m Bruder Valentine.

Ehe Tom und Val es sich versehen, geraten Bird Daly und James Playfair in den Strudel der politischen und kriminellen Ereignisse. Und es wird immer unwahrscheinlicher, dass wirklich nur eine einzelne politisch radikale Frau hinter all den Machenschaften stecken soll. Werden Wilde und seine Kollegen den wahren Feuerteufel zur Strecke bringen, ehe sein Treiben noch mehr Todesopfer fordert?

Die Handlung ist komplex. Wer die ersten beiden Bände (DER TEUFEL VON NEW YORK und DIE ENTFÜHRUNG DER DELIA WRIGHT) nicht gelesen hat, tut sich mit der Geschichte möglicherweise ein bisschen schwer. Weil die Autorin nicht nur den Kriminalfall schildert, sondern auch die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse sowie die privaten Vorgeschichten und Beziehungen der wichtigsten Figuren, hat man leicht das Gefühl, von Hölzchen auf Stöckchen zu kommen. Die bildhaft-poetische Sprache des Ich-Erzählers Timothy Wilde tut ein Übriges: Besonders schnell kommt man mit dem Lesen nicht voran! (Niemals wäre Wilde aufgrund seiner Bildung und Biographie – Bauernbub, Barkeeper, Bulle – imstande, so zu schreiben, aber sei’s drum.)

Lyndsay Faye erweckt das New York des 19. Jahrhunderts mit seinen Elendsvierteln beinahe beängstigend gut zum Leben. Man glaubt, die Not, Armut und Trostlosigkeit sehen, fühlen und riechen zu können. Das ist das Tolle an dieser Romanreihe.

Hier wichtig: Die Gaunersprache „Flash“


Ein „bremsendes“ wiewohl unterhaltsames Element ist die Gaunersprache „Flash“, derer sich die Wilde-Brüder und ihre Klientel oft befleißigen. Das aus dem Englischen übertragen zu müssen, war für die Übersetzerin Michaela Meßner bestimmt ein Höllenritt. Im Anhang des Buchs befindet sich ein fünfseitiges Glossar, und auch, wenn im Text vieles schon erklärt und übersetzt wird und man sich häufig vorkommende Begriffe recht schnell aneignet, gibt doch ordentlich was zu blättern. (Wer jiddisch versteht, hat einen kleinen Vorteil.)

Trotz der Mühe, die wir Leser damit haben: Eine der köstlichsten Szenen in dem Buch verdanken wir der Verwendung dieses Jargons. Wenn der abgebrühte Zeitungsjunge Francis „Alle Neune“ Garvey mit Tim in der Kneipe sitzt und in diesem Idiom altklug über die Frauenbewegung philosophiert, ist das schlichtweg zum Brüllen. Auch die Szene, in der die Wilde-Brüder ihr Englisch mit so vielen Flash-Ausdrücken wie möglich spicken, um von einem Ohrenzeugen nicht verstanden zu werden, hat was. 😀

Dass die Autorin mit diesem Roman gewaltig zu kämpfen hatte, wie sie in der Danksagung freimütig zugibt, glaube ich ihr aufs Wort. Die Auflösung des Falles ist ein bisschen arg konstruiert, so als hätte man die Geschichte irgendwie nachvollziehbar zu Ende bringen müssen. „Wer könnt’s denn jetzt gewesen sein und was könnte er/sie für ein Motiv gehabt haben?“ Lyndsay Faye sagt selber, dass sie kein „Plotter“ sei, die Handlung also nicht im Vorfeld durchplane. Wenn man einfach drauflosschreibt, wird’s halt manchmal schwierig.

Für Tim hätte ich mir persönlich einen anderen Schluss gewünscht, obwohl es so durchaus plausibel ist.

Wer die ersten beiden Bände gelesen und gemocht hat, dem sei auch dieser Abschlussband empfohlen. Um in die Geschichte der Wildes und des New York Police-Departments einzusteigen, ist der vorliegende Band nur bedingt geeignet. Da sollte man dann schon bei DER TEUFEL VON NEW YORK anfangen.

Die Autorin
Lyndsay Faye hat Englisch und Schauspiel studiert und war jahrelang als Schauspielerin tätig. Mit ihrem Mann und ihren Katzen lebt sie in Manhattan. In ihren Recherchen für das Buch „Dust and Shadow“ über die Stadtgeschichte von New York stieß Lyndsay Faye auf die Geschichte der New Yorker Polizei, deren frühen Anfänge sie in der Buchreihe um Timothy Wilde aufarbeitet.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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