Lars Simon: Gustafssons Jul. Eine schwedische Weihnachtsgeschichte

Lars Simon: Gustafssons Jul. Eine schwedische Weihnachtsgeschichte, München 2017, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-21695-1, Hardcover, 173 Seiten, mit Familienstammbaum, Format: 12,1 x 1,7 x 17,2 cm, Buch: EUR 12,00, Kindle Edition: EUR 9,99.

Abbildung: (c) dtv

Ein wenig unnahbar und geschäftsmäßig war er wohl schon immer, der wohlhabende schwedische Kunsthändler Carl-Johann Gustafsson (81). Seine Kinder und Enkel samt Anhang fürchten ihn eher als dass sie ihn lieben. Seit dem Tod seiner Frau Linnea vor zehn Jahren hat er sich auf sein Landgut Riksgarden am Mälarsee zurückgezogen und das Zusammentreffen mit seiner Familie so weit wie möglich vermieden.

Überraschung! Opa lädt ein


Ob’s mit dem Gemälde zusammenhängt, das Hausdiener Alfred auf dem Dachboden auskramt und wieder aufhängt, dass der alte Gustafsson auf einmal so sentimental wird? Ein bisschen düster und kitschig ist das Bild ja schon: Engel beschützen eine Familie und deren Tiere. Aber es war das letzte Geburtstagsgeschenk von Linnea an ihren Mann. Und als Carl-Johann das Bild wiedersieht, hat er spontan den Wunsch, seine Sippe zu Weihnachten einzuladen. Gesagt, getan.

Gustafssons Söhne Magnus und Stefan nebst Ehefrauen, erwachsenen Kindern und Enkel Carl-Johann junior fallen aus allen Wolken. Was hat er vor, der Alte? Geht’s etwa ums Erbe? Wird er seine Geschäftsanteile an seine Nachkommen verteilen und sich endgültig aus dem Business zurückziehen?

Natürlich ist jeder darauf bedacht, bei der unerwarteten Familienfeier eine möglichst gute Figur zu machen um die Mitbewerber auszustechen und den größeren Anteil einzustreichen. Und so begraben alle Gustafssons zähneknirschend ihre ursprünglichen Festtagspläne und fahren zum Opa aufs Landgut.

Lediglich Enkelin Susanna, eine mäßig erfolgreiche Künstlerin und mit beinahe 30 immer noch wirtschaftlich von ihren Eltern abhängig, mag den knurrigen Alten wirklich. Sie hat keinerlei Ehrgeiz, stinkreich zu werden. Wenn sie finanziell auf eigenen Beinen stehen könnte, wäre das zwar schön, doch auf gar keinen Fall wird sie sich irgendwie verbiegen, um an Großvaters Geld zu kommen.

Tricksen, schleimen, intrigieren


Die übrige Mischpoche sieht das nicht so eng. Da wird getrickst, geschleimt und intrigiert, dass es eine wahre Pracht ist, nur damit auch ja kein anderer Verwandter beim Großvater besser dasteht und am Ende mehr Firmenanteile abbekommt als man selbst.

Die Aufgabe, die Gustafsson senior seiner Familie stellt – gemeinsam im Wald einen Weihnachtsbaum aussuchen, schlagen und schmücken – sehen sie als Prüfung an und gehen mit viel Eifer und wenig Skrupel ans Werk. Dass der alte Herr nur wollen könnte, dass sie sich vertragen, kommt keinem in den Sinn. Als er von der neuen Nachbarin Alma Nyberg schwärmt, legen sie noch eine Schippe drauf. Schnell absahnen, bevor der Alte am Ende noch auf die Idee kommt, nochmals zu heiraten und die Erbschaft kleiner wird!

Künstlerin Susanna sieht das Spektakel mit Grausen. Ihre Sippe führt sich ja auf wie die Figuren einer prolligen Reality-Show im Privatfernsehen! Zum Fremdschämen! Könnte sich stattdessen vielleicht mal jemand um ihren kleinen Neffen, Carl-Johann junior, kümmern? Das Bürschchen ist ausgesprochen verhaltensoriginell. Die Begründung ihrer Schwägerin, ihr Sohn sei hochbegabt, unterfordert und deshalb so seltsam, hält Susanne für eine Ausrede. Möglicherweise sollte man sich mehr mit ihm beschäftigen. Aber dafür hat gerade wieder mal keiner Zeit.

An Heiligabend fallen die Masken


Wie das so ist, wenn die Menschen miteinander so richtig herzhaft Krach haben: Irgendwann lassen sie sich dazu hinreißen, Dinge zu sagen, die besser ungesagt geblieben wären. An Heiligabend kommt’s zu nächtlicher Stunde zum großen Krawallfinale. Auf einmal kommen all die Familiengeheimnisse ans Licht, die jeder gut geschützt wähnte. Söhne, Enkel, Schwiegerkinder – sie alle werden coram publico mit ihren Lebenslügen konfrontiert.

Susanna ist fassungslos. Die einzige, die sich wie Bolle amüsiert, ist Lisa, die aufgedonnerte Blondine, die ihr Vetter Bengt als Begleitung mitgebracht hat. Endlich ist was los in der faden Gesellschaft! Doch auch Lisa hat nicht mit offenen Karten gespielt, geht jedoch erstaunlich gelassen mit dieser Enthüllung um. Irgendwie ist die Frau verflixt cool drauf. Sie passt überhaupt nicht in die Familie.

Nun, da die Gustafssons quasi mit heruntergelassenen Hosen voreinander dastehen, dämmert ihnen, dass sie sich mit dieser Aktion keinen Gefallen getan haben. Nie wieder werden sie sich selbst und der Familie etwas vormachen können. Nur gut, dass Opa Carl-Johann nichts davon mitbekommen hat. Hat er doch nicht … oder?

Zwischen Lachen und Entsetzen


Grantige alte Herren und desolate Familienverhältnisse beschreiben, das kann Lars Simon. Turbulente Szenen, die harmlos beginnen und sich zum blanken Wahnsinn steigern, liegen ihm auch. Das wissen all diejenigen, die seine „Tierkot-Trilogie“ kennen.

Als LeserIn schwankt man zwischen Lachen und Entsetzen. Natürlich ist es brutal und gemein, was der spröde Zahlenfreak Jan-Erik über seinen schöngeistigen Bruder Bengt sagt. Man gackert trotzdem. Brigitta und Sofia, den geifernden Schwägerinnen, würde man am liebsten rechts und links eine scheuern für ihre fiesen Intrigen. Ihren Ehemännern, Magnus und Stefan, möchte man zurufen: „Ihr Waschlappen! Das lasst ihr euch gefallen?“ Und doch kann man nicht aufhören, weiterzulesen, weil man unbedingt wissen will, was sie als nächstes aushecken um einander zu übertrumpfen. Und was der schwer durchschaubare Alte wirklich plant, das interessiert einen natürlich auch.

Die einzig Normalen in der Geschichte sind Enkelin Susanna und das Hauspersonal. Was der vornehm-zurückhaltende Hausdiener Alfred und die bodenständige Köchin Magda von dem Gustafssonschen Familienzirkus halten, kann man nur vermuten.

Weil Weihnachten ist …


Man wünscht ihr alles Schlechte, dieser hinterhältigen, missgünstigen Brut! Aber weil Weihnachten ist, lässt der Autor die Nachkommen des alten Gustafsson nicht mit voller Wucht ins offene Messer laufen. Dann wollen wir als Leser auch nicht so sein und ihnen eine zweite Chance geben. Vielleicht ist ihnen ja tatsächlich ein Licht aufgegangen … so wie dem Mann auf dem düsteren und etwas kitschigen Gemälde, das Linnea Gustafsson vor kurz vor ihrem Tod ihrem Mann zum Geburtstag geschenkt hat. Ja, ein bisschen etwas Magisches hat die Geschichte auch.

Ich hab GUSTAFSSONS JUL mit großem Vergnügen gelesen. Ich mag’s einfach, wie Lars Simon den Wahnsinn eskalieren und das Chaos toben lassen kann, ohne dabei die ernsthaften Aspekte der familiären Beziehungen aus den Augen zu verlieren. A propos Beziehungen: Der Familienstammbaum hinten im Buch ist Gold wert. Es dauert nämlich ein bisschen, bis man kapiert hat, wie die Leutchen alle zusammengehören.

Der Autor
Lars Simon hat nach seinem BWL- und Politologie-Studium zuerst lange Jahre als Marketingleiter einer IT-Firma gearbeitet, bevor er als Touristen-Holzhaus-Handwerker mit seiner Familie mehr als sechs Jahre in Schweden verbrachte. Heute lebt er in der Nähe von Frankfurt/Main. Mehr über den Autor und seine Bücher unter www.larssimon.de

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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