Weltfremde Ratschläge

Immer wieder falle ich auf Ratgeber-Artikel in Publikumszeitschriften herein. Dabei sollte ich doch inzwischen wissen, dass da eine Elite über sich selber schreibt. Mit dem realen Leben der meisten LeserInnen hat das oft nichts zu tun.

Man müsse sich auch mal eine Auszeit gönnen, schrieb unlängst ein Psychologe in einer Illustrierten. Er habe jetzt für ein Jahr keine Patienten angenommen – die Gemeinschafspraxis betreibe in der Zeit allein seine Frau – und lebe nun rein nach dem Lustprinzip. Dass man in seinem Sabbatjahr nicht den Keller aufräumen oder die Wohnung tapezieren solle sondern nichts tun und sich zum Beispiel zum Leutegucken ins Café setzen, das habe er erst lernen müssen.

Ah ja, denken sich die LeserInnen. Schön für ihn. Und sie fragen sich vielleicht, was sie aus diesem Beitrag für ihr eigenes Leben lernen sollen. Was macht denn ein Angestellter, wenn seine Firma kein Sabbatjahr anbietet oder nur zu Konditionen, die er sich finanziell nicht leisten kann? Oder ein Selbstständiger, dessen Kunden unwiderruflich abwandern, wenn er sich ein Jahr lang nicht um sie kümmert? Dem Psychologen rennt die Kundschaft natürlich die Tür ein, wenn er nach seinem Sabbatical wieder Patienten aufnimmt. Aber er kann nicht davon ausgehen, dass das für andere Berufe genauso gilt. Und an wen sourct jemand ein Jahr lang seine Pflichten aus, der kleine Kinder oder andere hilfsbedürftige Angehörige zu versorgen hat?

Für Normalbürger ungeeignet


Der Leser seufzt und denkt, für ihn bleibt wieder mal nur die Bonsai-Version: Am freien Tag also nicht die Wäsche bügeln, Krempel zum Wertstoffhof fahren oder den Kleiderschrank ausmisten, sondern die Zeit genießen. Was dann eh wieder nicht klappt, denn wann sollte man solchen Kram sonst erledigen, wenn nicht an einem freien Tag?

Genauso hilfreich ist oft gelesene der Tipp, man möge sich morgens vom Tageslicht wecken lassen und nachmittags einen längeren Spaziergang unternehmen. Sehr praktikabel für Leute, die schon vor Sonnenaufgang am Arbeitsplatz sein müssen (oder auf dem Weg dorthin) und sich von dort auch nicht einfach am Nachmittag für anderthalb Stunden absentieren können.

Am Wochenende las ich wieder mal den weltbewegenden Rat, man solle doch eine Stunde früher aufstehen und die geschenkte Zeit kreativ nutzen. Ich hab gelacht. Noch früher? Und dann kreativ sein? Das wäre in meinem Fall also um 3 Uhr 20. Gebt mir bitte die Telefonnummer von dem Kerl, der das abgesondert hat! Ich weck ihn mal um diese Zeit und schau, wie kreativ er ist!

Elitäres Gefasel


Das ist doch alles elitäres Gefasel! Wer vollkommen frei über seine Zeit verfügen kann und so viele Ressourcen hat, dass er nicht Vollzeit berufstätig sein muss bzw. lästige Arbeiten jederzeit auswärts vergeben kann, der wird solche Ratschläge kaum benötigen. Und denen, die sie brauchen, ist mit solchen realitätsfernen Ausführungen nicht geholfen.

Bei der Gelegenheit seien noch diejenigen erwähnt, die gern mit erhobenem Zeigefinger mahnen, man solle doch aus Umweltschutzgründen keine Produkte im Internet bestellen, sondern im lokalen Einzelhandel kaufen. Das sind dann gern die, die entweder alle Geschäfte direkt vor der Haustür haben oder unter lokalem Einzelhandel sämtliche Läden im Umkreis von 50 km verstehen, die bequem mit dem Auto zu erreichen sind.

Klar: Wenn das möglich wäre, würde ich das natürlich auch gern machen. Aber wer auf dem Dorf wohnt und kein Auto hat, weiß, dass der Internethandel manchmal die letzte Rettung ist. Nicht jeder hat die Zeit, wegen ein paar Schrauben, einer Bratpfanne oder einem Reißverschluss eine Tagesreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu unternehmen.

Ich weiß gar nicht, warum ich solche Artikel immer wieder lese. Ich weiß doch, was drinsteht. Oder, besser gesagt, was NICHT drinsteht: Realistische, tatsächlich umsetzbare Tipps für Menschen mit einem ganz durchschnittlichen Leben: Beruf, Familie, Haushalt, überschaubares Budget.

Vielleicht existieren diese Tipps ja gar nicht, weil es einfach keine Möglichkeit gibt, zu viele Verpflichtungen in einen zu knappen Zeitrahmen zu pressen, wenn man nicht die Mittel dafür hat, einzelne Tätigkeiten an professionelle Dienstleister zu delegieren. Oder es gibt keine ExpertInnen, die darüber nachdenken und schreiben könnten. Wer in dem Hamsterrad drinsteckt und mit Rennen beschäftigt ist, hat keine Zeit dafür.

Foto: (c) Lupo / pixelio.de

Foto: (c) Lupo / www.pixelio.de

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