Ingrid Zellner: Adlerschanze. Baden-Württemberg-Krimi

Ingrid Zellner: Adlerschanze. Baden-Württemberg-Krimi, Tübingen 2018, Silberburg-Verlag, ISBN 978-3-8425-2088-2, Softcover, 253 Seiten, Format: 11,8 x 2,5 x 19 cm, EUR 13,99.

Abbildung: (c) Silberburg Verlag

„Es gibt keine Höhen, wenn dazwischen nicht auch Täler liegen.“ – Text auf einer Infotafel im Adler Skistadion Hinterzarten.

Ein Polizist hat seinen Beruf immer im Hinterkopf, auch wenn er, wie Kriminalkommissar Surendra Sinha (35) aus Friedrichshafen, gerade ein paar Tage Urlaub in Hinterzarten macht. Er besucht seine Mutter, die dort zur Kur ist. Als er im Café sitzt und Hilfeschreie hört, lässt er ohne zu zögern Kaffee und Kuchen stehen und sprintet lost, um nach dem Rechten zu sehen.

Was er vorfindet, ist entsetzlich: Seine Ferienhaus-Nachbarinnen, die britischen Zwillinge Kim-Marie und Kim-Celine Walker, stehen völlig aufgelöst am Ufer des Adlerweihers. Sie haben soeben die Leiche einer jungen Frau aus dem Wasser gezogen. Schon sammeln sich die ersten Schaulästigen und Sinha hat alle Hände voll zu tun, sie bis zum Eintreffen der zuständigen Polizeibeamten vom Fundort der Leiche fernzuhalten. Die Leute sollen ja keine Spuren zertrampeln.

Mordermittlungen im Urlaub


Statt Urlauber ist Sinha auf einmal Zeuge. Wie sich herausstellt, war die Tote die quasi-Schwiegertochter des ermittelnden Kriminalhauptkommissars Peter Schobinger von der Kripo Freiburg. Und weil dieser sich verständlicherweise auch um seinen vollkommen verstörten Sohn kümmern muss, findet sich Sinha plötzlich in der Rolle des Ersatz-Ermittlers wieder. Schobingers Kollegin, Kriminalkommissarin Michaele Lux, ist von dieser Entwicklung nicht begeistert. Am Ende heimst der Gastkommissar aus Friedrichshafen noch alle Lorbeeren ein, befürchtet sie, und lässt die Freiburger Kripo als depperte Provinzsheriffs dastehen. Aber das liegt Sinha fern. Er will wirklich nur helfen. Und seine berufliche Neugier kann er natürlich auch nicht so einfach abstellen, Urlaub hin oder her.

Die Tote heißt Moira Kerber, war die Tochter einer bekannten Journalistin/Restaurantkritikerin und, wie gesagt, die Freundin des begabten Nachwuchs-Skispringers Daniel Schobinger. Surendra Sinha hat keinerlei Interesse „an Wintersport. Erst recht nicht im Hochsommer.“ (Seite 11) und wollte eigentlich einen großen Bogen um den gerade stattfindenden Skisprung-Sommer-Grand-Prix machen. Jetzt steckt er mittendrin.

Ein Sumpf an Neid und Intrigen


Wie so oft, wenn ehrgeizige junge Talente und deren noch ehrgeizigere Eltern auf die Verheißungen des professionellen Leistungssports und die Niederungen des Vereinslebens treffen, finden die Ermittler auch hier einen Sumpf an Neid und Intrigen vor. Da wird schon mal zu sehr drastischen Maßnahmen gegriffen, um einen Konkurrenten auszuschalten. Nur nachweisen kann man den Leuten in der Regel nichts.

Hat sich jetzt wirklich jemand dazu verstiegen, die Freundin eines Skispringers zu ermorden um seine Performance zu schwächen oder ihn gänzlich von der Teilnahme am Wettkampf abzuhalten? Es klingt verrückt, aber es ist noch gar nicht so lange her, dass das Ausnahmetalent Marc Wegener von einem Auto angefahren und schwer verletzt worden ist. Mit dessen Sportlerkarriere ist es nun vorbei, denn er hat dauerhafte körperliche Beeinträchtigungen davongetragen. Ob das ein Unfall war oder ein Attentat, hat man nie herausgefunden.

Wer war eigentlich Moira Kerber?


Nachdem Kriminalkommissar Sinha auch noch miterleben muss, wie der junge Skispringer Jonas Steigenberger aus dem Rennen gekickt wird, kommt ihm das Mordmotiv „krankhafter sportlicher Ehrgeiz“ auf einmal gar nicht mehr so absurd vor. Aber liegt er mit dieser Vermutung auch richtig? Oder verrennen seine Kollegen und er sich da in etwas?

Moira Kerber war doch mehr als nur die Freundin von Daniel! Nur weil sich sein Leben hauptsächlich um den Sport gedreht hat, muss das bei ihr ja nicht genauso gewesen sein. Mit ihr als Person hat sich bis jetzt noch niemand beschäftigt. Nun wird’s aber höchste Zeit! Das Ergebnis dieser Recherchen ist ebenso verblüffend wie aufschlussreich …

Damit niemand demselben Irrtum aufsitzt wie ich: Die britischen Walker-Zwillinge sind erst so um die 30. Da ich die Altersangabe im ersten Durchgang überlesen hatte und weil im Zusammenhang mit den beiden oft von „Damen“ und „Ladies“ die Rede ist, habe ich sie mir die ganze Zeit als etwas überkandidelte Rentnerinnen vorgestellt. Und das passt dann nicht. Also: Die zwei sind ein bisschen schrill und schrullig, aber noch jung.

Der indische Kommissar – ein interessanter Held


Kommissar Surendra Sinha ist ein echt netter Kerl – und ein interessanter Protagonist. Seine indische Abstammung macht es ihm nicht immer leicht. Seine Familie lebt zwar schon seit Jahrzehnten in Deutschland und er ist hier geboren, aber sieht ihm nun mal an, dass er kein Einheimischer ist. Einen „Ausländer“ als Kriminalkommissar können manche Leute nicht auf Anhieb akzeptieren. Auch wenn die Vorurteile, mit denen er sich konfrontiert sind, eher folkloristischer Natur als offen abwertend sind: Man begegnet ihm voreingenommen, stolpert über seinen indischen Namen und findet es sonderbar, dass er kein Christ, sondern ein Hindu ist.

Wenn seine Kollegen und Bekannten erst wüssten, mit welcher Vehemenz seine Mutter ihn zu verkuppeln versucht! Ihre Schwestern, Cousinen und Freundinnen haben längst Enkelkinder, nur ihr Surendra kriegt das mit den Frauen anscheinend nicht gebacken. Bei ihm steht immer der Beruf an erster Stelle. Damit er endlich seine anstrengende Mama von der Backe kriegt und weil er tatsächlich ein bisschen einsam wirkt, ertappt man sich selbst dabei, das Romanpersonal auf potentielle Partnerinnen hin zu scannen. (Und hört im Geiste schon die Mutter meckern, weil sie natürlich eine andere Vorstellung von einer perfekten Schwiegertochter hat als wir.)

Mitgefühl: Stärke und Schwäche zugleich


Es wäre wirklich gut, wenn Sinha ein Leben außerhalb der Arbeit hätte, denn er tendiert dazu, seine Fälle emotional mit nach Hause zu nehmen. Wenn das Tatmotiv nicht nur reine Niedertracht war, sondern der Straftäter sich in einer ausweglosen Situation wähnte, hat der Kommissar Mitleid mit ihm. Das kann auf die Dauer belastend werden. Daran muss er noch arbeiten, denn wir LeserInnen wollen ja noch eine Weile was von ihm und seinen Fällen haben!

Wenn man als Leser vom Skispringen keine Ahnung hat, macht das hier gar nichts. Dann wächst man eben zusammen mit dem gleichfalls unwissenden Kommissar in das Thema hinein. Obwohl man hier fraglos einiges lernt, muss man kein Skisprung-Experte werden, um der Handlung folgen zu können und sich gut und spannend unterhalten zu fühlen. Es geht ums Prinzip: In einem wettbewerbsorientierten Umfeld, in dem es um Ruhm und Geld geht, muss man akzeptieren können, dass es Höhen und „Täler“ gibt. Den Erfolg erzwingen zu wollen, ist ein äußerst problematisches Unterfangen.

Die Autorin
Ingrid Zellner, geboren 1962 in Dachau. Studium der Theaterwissenschaft, der Neueren deutschen Literatur und der Geschichte in München. 1988 Magisterexamen. Dramaturgin 1990 bis 1994 am Stadttheater Hildesheim und 1996 bis 2008 an der Bayerischen Staatsoper München. Veröffentlichung von Romanen, Krimis, einem Kinderbuch, Kurzgeschichten, Theaterstücken, CD-Booklet-Texten und Artikeln. Freiberufliche Tätigkeit u.a. als Übersetzerin (Schwedisch) sowie als Schauspielerin, Regisseurin und Autorin.
www.ingrid-zellner.de
www.facebook.com/ZellnerIngrid
www.kashmirsaga.de

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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