Anita Konstandin: Verhängnisvolle Freundin. Stuttgart-Krimi, Tübingen 2019, Silberburg-Verlag, ISBN: 978-3-8425-2148-3, Softcover, 365 Seiten, Format: 12,1 x 3,8 x 19 cm, EUR 14,99.
Der erfolgreiche Geschäftsmann Gordon Opitz (40) sitzt in einem noblen Stuttgarter Restaurant und ist sauer: Seine kapriziöse Gattin Alexa (33) hat ihn versetzt. Ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag! Ein Dutzend Mal hat er schon versucht, sie telefonisch zu erreichen, aber sie geht nicht ran. „Zicke“, denkt er irgendwann frustriert und zieht mit einem Bekannten, dem Kunsthändler Ichigo Takahashi, um die Häuser.
Doch er tut seiner Frau Unrecht. Alexa hat nicht die Verabredung vergessen, sie ist Opfer eines Gewaltverbrechens geworden. Elegant gekleidet für die Verabredung mit ihrem Mann liegt sie erschlagen in der Diele des heimischen Bungalows.
Wer erschlug Alexa O.? Und warum?
Ein Raubmord war das nicht. Das ist Kriminalhauptkommissarin Corinna „Corry“ Voss und ihren KollegInnen schnell klar. Von den zahlreichen Wertgegenständen im Haus fehlt lediglich ein goldenes Halskettchen. Eine Beziehungstat?
Der Ehemann hätte ja ein Alibi, wenn der Kunsthändler, mit dem er zur Tatzeit unterwegs gewesen sein will, für die Polizei greifbar wäre. Aber der ist spurlos verschwunden. Seine Ehefrau sieht das gelassen. Das macht ihr Mann öfter. Der taucht auch wieder auf. Gordon Opitz hofft das sehr.
Die Kripo Stuttgart dreht nun das berufliche und private Leben der Eheleute Opitz auf links. Mit Alexas engelsgleichem Aussehen konnte ihr Charakter anscheinend nicht mithalten. Der Ausdruck „gemeine, egozentrische Zimtzicke“ fällt zwar nie, aber insbesondere ihren Kolleginnen in der Klinik gelingt es vortrefflich, diesen Eindruck zu erwecken, ohne direkt etwas Böses zu sagen.
Verheiratet war Frau Opitz auch schon mal. Mit zwanzig, ganze fünfzehn Monate lang. Bis ihr damaliger Ehemann unter nie ganz geklärten Umständen ums Leben gekommen ist. Seine Familie hat die Theorie vom Suizid nie akzeptiert – oder nie wahr haben wollen – und Alexa die Schuld gegeben.
Je mehr die Polizei im Leben des Mordopfers herumstochert, desto mehr Menschen kommen ans Licht, die Alexa Opitz durchaus die Pest an den Hals gewünscht haben. Oder noch Schlimmeres.
Die seltsame Welt der Kellnerin Jasmin
Wie hier die Kellnerin Jasmin „Huttla“ Hutter (21) ins Bild passt, an deren ärmlichem Leben uns die Autorin teilhaben lässt, kristallisiert sich erst im Lauf der Zeit heraus. Jasmin haust allein in einem Kämmerchen über der Stuttgarter Kneipe, in der sie mit mäßigem Erfolg bedient. Und sie lebt in ihrer eigenen Welt. Bei ihr weiß man nie, was Realität ist und was sie sich nur ausdenkt oder einbildet. Sie brennt für ihr Hobby, das Basteln von winzigen Tierchen aus Rocaille-Perlen, sie liebt morbide und gruselige Youtube-Filmchen und sie träumt von einem Leben mit ihrem Freund Andre, einem Bestatter. Wenn nur dessen dementer Vater nicht wäre, mit dem er zusammenwohnt, dann würde sie bei ihm einziehen, und dann könnten sie auch endlich den verkrüppelten Hund Bones aus dem Tierheim in Donzdorf bei sich aufnehmen, den sie jetzt nur an den Wochenenden sehen.
Real ist auf jeden Fall Jasmins Freundin Michelle Högel, 43, die inzwischen mehrere hundert Kilometer entfernt als Busfahrerin in einem Safaripark arbeitet und „Jasminchen“ immer wieder am Telefon zu einem Besuch drängt. Die Kellnerin hat ein komisches Gefühl dabei. Der Leser auch. Michelle ist genauso seltsam wie Jasmin, will immer wieder Klatschgeschichten aus Stuttgart hören, die die Jüngere ihr zu Gefallen frei erfindet.
Jasmins berufliche Pläne klingen dagegen eher nach Luftschlössern als nach wirklichen Chancen, auch wenn sie schon ganz handfeste Vorbereitungen trifft. Und was ist mit ihrer afrikanischen Mitbewohnerin Erdna? Mit der stimmt doch auch irgendwas nicht. Eine Zahnarzttochter? Wer soll das glauben?
Jasmin ist verschwunden
Die versponnene junge Kellnerin gerät schließlich ins Visier der ermittelnden Beamten. Aber hätte dieses Persönchen überhaupt die Kraft dazu, einen erwachsenen Menschen zu erschlagen? Ihre Kollegin meint, ja. Die Kripo würde nun gerne mit Jasmin Hutter sprechen – aber wo ist sie abgeblieben? Ihr Freund Andre ist schon ganz außer sich vor Sorge, weil er sie nicht erreichen kann …
Das Beziehungsgeflecht ist so komplex wie die aufwändigen Bastelanleitungen für Perlentiere, mit denen Jasmin Hutter so souverän hantiert. Der Leser hat einen kleinen Informationsvorsprung vor der Polizei, weil er ja live miterlebt, was die Personen denken. Die Kripo muss das erst erfragen.
Dass so ein Mordfall nicht von ein, zwei Polizeibeamten im Alleingang gelöst wird, wie man das oft in Fernsehkrimis sieht, sondern dass das eine Teamleistung ist, wird in diesem Roman sehr deutlich. Man muss sich nicht die Eigenheiten aller Teammitglieder merken, aber man sieht sehr schön, dass es auch im Kommissariat menschelt. Manche Kollegen kommen sehr gut miteinander aus, andere können einander nicht riechen … wie im richtigen Leben auch.
Polizeiarbeit ist Teamwork – und hart
Dass dieser Beruf es schwer macht, ein Privatleben oder gar eine Beziehung zu führen, wird ebenfalls klar. KHK Corry kommt weder zum Wäschewaschen noch dazu, mit ihrem Freund abends zu kochen. Auch der Besuch bei ihren Eltern hat Seltenheitswert. Bei ihrem Kollegen Fabio hat sich Verwandtschaft im Haus eingenistet („der alte Giftzwerg und seine Strickliesel“, Seite 242), worauf sein Lebensgefährte die Flucht ergreift. Und Kollegin „Müzze“ sucht, wie viele in Stuttgart, verzweifelt und vergeblich eine bezahlbare Wohnung.
Die privaten Probleme müssen nebenher laufen, denn die Aufklärung des Mordfalls Alexa Opitz hat Vorrang. Der Job geht immer vor. Nach einem tierisch atemberaubenden Showdown, wie ich ihn noch in keinem Krimi gelesen habe, ist alles klar …
Wie die einzelnen Lebensgeschichten ineinander greifen und wie es schlussendlich zu dieser Tat kam, ist tragisch. Nicht alle Bösewichte sind abgefeimte Mistkerle bzw. Miststücke. Manche sind arme Socken, die vom Schicksal so heftig gebeutelt wurden, dass in ihnen etwas irreparabel zerbrochen ist und sie ihr Leben nie wieder auf die Reihe bekommen. Ein bisschen Hoffnung gibt die Geschichte aber, denn möglicherweise ist für den einen oder anderen „Underdog“ trotz seiner Vorgeschichte noch nicht alles zu spät.
In einem Rutsch ausgelesen
Das ist wieder eines dieser packenden Bücher, in die man „nur mal kurz reinschauen“ will und die man dann unter Vernachlässigung aller anderen Vorhaben in einem Rutsch durchliest. Dass die Geschichte mit all ihren morbiden und psychisch angeschlagenen Figuren nicht zu düster wird, dafür sorgen die Polizeibeamten mit ihren Alltagssorgen und ihrem Kollegen-Geplänkel. Und ein paar nette böse Sprüche sind auch immer wieder eingestreut. Besonders im Umfeld des gruftigen Bestatters. „In Amerika“, schwärmte er, „wird bei 95 Prozent aller Entschlafenen Thanatopraxie eingesetzt. Die Verstorbenen sehen eigentlich immer besser aus als ihre Hinterbliebenen.“ (Seite 142.) 😀
Die Autorin
Anita Konstandin, 1956 in Stuttgart- Bad Cannstatt geboren, arbeitete als angestellte, später als freiberufliche Werbetexterin. Schreiben ist ihre Leidenschaft, und so verfasste sie Kurzgeschichten für Literaturwettbewerbe und Krimi-Anthologien. »Morgen früh, wenn Gott will« ist ihr erster Roman.
Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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