Elizabeth Jane Howard: Die stürmischen Jahre: Die Chronik der Familie Cazalet. Roman

Elizabeth Jane Howard:Die stürmischen Jahre: Die Chronik der Familie Cazalet. Roman, OT: Confusion, aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Ursula Wulfekamp, München 2019, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3 423 14708 8, Klappenbroschur, Format: 13,5 x 3,8 x 21,1 cm, Buch: EUR 16,90 (D), EUR 17,40 (A), Kindle: EUR 14,99.

Abb. (c) dtv

Fünf Bände gibt’s über die britische Familie Cazalet. Es geht um vier Geschwister, drei Generationen und zwei Jahrzehnte. Dies ist Band 3 und er spielt in Sussex und London während des Zweiten Weltkriegs. Genau gesagt zwischen März 1942 und Mai 1945.

Auch wenn das Buch einen Stammbaum der Familie Cazalet enthält, ein Personenverzeichnis und eine zweiseitige Zusammenfassung der Ereignisse aus Band 1 und 2, hat man meines Erachtens als Quereinsteiger kaum mehr eine Chance, der Handlung vernünftig folgen zu können. Zu zahlreich sind die Personen, zu komplex ihre jeweiligen Geschichten. Man sollte bei dieser Reihe schon vorne anfangen.

Der Einfluss des Kriegs auf die Zivilisten

Die Cazalet-Saga gehört zu den Reihen, die man entweder hasst oder liebt. Für die Gegner hat’s hier zu viele Figuren und zu wenig Action. Die Fans lieben die Reihe als Gesellschaftsromane, in denen man den Personen sehr nahe kommt. Sie verbergen nichts vor dem Leser, und man sieht, welche zum Teil verheerenden Auswirkungen der Krieg auf unschuldige Zivilisten hat. Die Kinder, die dürftig gebildeten Dienstboten und die politisch unbedarften Ehefrauen haben den Krieg weder gewollt noch angezettelt. Er legt nur ihr Leben in Trümmer.

Kommen wir zu den Personen: Den einen Protagonisten, um den sich alles dreht, gibt’s hier nicht. Es geht hier wirklich um den ganzen Familienclan. William und Kitty Cazalet sind schon in ihren Siebzigern und Achtzigern. Sie tun, was sie können, um ihren Kindern mit Anhang einen sicheren Unterschlupf auf dem Familien-Landsitz „Home Place“ in Sussex zu bieten. Dass die Söhne Hugh und Edward die Woche über in London verbringen, um sich um das Familienunternehmen zu kümmern, ist unvermeidlich.

Ist Zoe Ruperts Ehefrau oder Witwe?

Sohn Rupert wird in Frankreich vermisst. Seit zwei Jahren haben sie nichts mehr von ihm gehört. Nur seine Tochter Clary (17) glaubt fest an seine Rückkehr. Akribisch führt sie Tagebuch, damit er, wenn er wieder da ist, nachlesen kann, was während seiner Abwesenheit alles passiert ist.

Clarys Stiefmutter, Ruperts zweite Frau Zoe, 27, hat die Hoffnung aufgegeben und verzweifelt an ihrem ungewissen Status. Ist sie nun Witwe oder Ehefrau? Wäre sie offiziell verwitwet, könnte sie Captain Jack Greenfeldt heiraten und mit ihm und Töchterchen Juliet in die USA gehen. Wüsste sie sicher, dass ihr Mann noch lebt, müsste sie diese Träume schweren Herzens begraben. Loyalität zählt in ihrer Gesellschaft mehr als Liebe.

Zoe, die anfangs so egoistisch und oberflächlich war, hat in den letzten Jahren sehr an Tiefe und Reife gewonnen, und sie tut einem in ihrer Zerrissenheit unendlich leid. Man würde ihr und ihrem amerikanischen Captain ein Happy End von ganzem Herzen gönnen.

Edwards g’schlampertes Verhältnis

Viola „Villy“ Cazalet ahnt zwar, dass ihr Gatte Edward die Treue nicht gerade erfunden hat, aber dass er mit einer Langzeitgeliebten zwei Kinder hat, weiß sie nicht. Doch in einer Gemeinschaft überschaubarer Größe werden auch Edwards besondere Lebensumstände nicht auf Dauer geheim bleiben. Sein Bruder Hugh hat von der Sache schon Wind bekommen. Der hat aber ganz andere Sorgen. Er trauert um seine kürzlich verstorbene Frau Sybil und beginnt zu ahnen, dass ihm seine Kinder so langsam entgleiten. Nur zu Tochter Polly (17) hat er noch Kontakt.

Louise Cazalet (19) hat ihren Traum von der Schauspielkarriere auf Eis gelegt und den deutlich älteren prominenten Maler und Marineoffizier Michael Hadleigh geheiratet. Dass das eine krasse Fehlentscheidung war, merkt sie bald. Der taffe Offizier entpuppt sich als Muttersöhnchen, der alles macht, was seine Mummy, Lady Zinnia, sagt. Und das ist ein Drachen, wie er im Buche steht. Für Lady Zinnia ist die Schwiegertochter nur ein Brutkasten für möglichst viele Enkelkinder. Was Luise denkt, fühlt und will, ist irrelevant. Und ihr Göttergatte hat noch ganz andere „Baustellen“ als nur eine überstarke Mutterbindung.

Louise spielt nur die glückliche Ehefrau

Louise, die sich die Geschichte selber eingebrockt hat, sieht keinen Ausweg und versinkt in Depressionen – was aber keiner merkt. Denn als ausgebildete Schauspielerin gibt sie die glückliche Ehefrau und Mutter sehr überzeugend. Das geht so lange gut, bis ein Verwandter ihres Mannes sie durchschaut. Das Drama nimmt seinen Lauf …

Louises Cousinen Clary und Polly wollen der Enge des Landlebens entfliehen und ziehen nach London, um dort auf eine Sekretärinnenschule zu gehen. Nicht gerade ihr Traum, eher eine Notlösung. Clary liebäugelt mit einer Schriftstellerinnenkarriere, Polly träumt von einer Ehe mit einem Freund der Familie, der davon allerdings nichts weiß.

Die unverheiratete Rachel Cazalet stellt, sehr zum Ärger ihrer lesbischen Freundin Sid, stets die Bedürfnisse der Familie über ihre eigenen. Sie hängt in Sussex fest, weil immer irgendjemand sie braucht und wagt nicht einmal daran zu denken, mit Sid zusammenzuziehen. Sid reicht’s langam.

Überraschende Partner, ganz neue Seiten

Da ist dann noch Cousine Angela, die nach einer großen Enttäuschung auf die schiefe Bahn zu geraten droht, Nora, die nun doch keine Nonne geworden ist und Teddy, den der Krieg in die USA verschlagen hat – sie alle schockieren ihren stockkonservativen Familienclan mit überraschenden Zukunftsplänen. Das Schicksal von Noras Mann und seinem Freund Tony geht einem dabei besonders nahe.

Selbst das angeheiratete Ekel Raymond, das bisher hauptsächlich seine Unfähigkeit als Geschäftsmann, Ehemann und Vater unter Beweis gestellt hat, zeigt nun seine menschliche Seite und rührt uns durch eine traurige Geschichte. Nur Edward Cazalet und Jessica Castle – Villys Schwester – sind immer noch die gleichen narzisstisch angehauchten Mistkäfer. Da gibt’s keine sympathische Facette und keine positive Entwicklung– und von mir auch keinerlei Mitleid. So!

Hat Clary recht und Rupert lebt?

Und was ist jetzt mit dem vermissten Cazalet-Sohn Rupert? Wenn er tatsächlich noch lebt, müsste er doch nach Kriegsende nach Hause kommen. Und wenn: Könnte man nach – sagen wir mal – fünfjähriger Abwesenheit einfach wieder da anknüpfen, wo man damals aufgehört hat? Beruflich vielleicht schon, der Familienbetrieb muss ja wieder aufgebaut werden. Aber privat? Es haben sich doch alle so stark verändert! So sehr ich anfangs auf Ruperts Heimkehr gehofft habe: Vielleicht wäre es doch besser, er käme nicht wieder.

Ich bin auf die Entwicklungen gespannt und freue mich auf den nächsten Band. Ob Captain Greenfeldt sein Vorhaben wohl nochmals überdacht hat?

Gestört hat mich in diesem Band nur ein Stilmittel, das mir bei Band 1 und 2 gar nicht aufgefallen ist. Vielleicht ist es neu: Bei Szenenwechseln lässt uns die Autorin oft ein bis zwei Seiten lang raten, wer hier eigentlich agiert. Dann erst fallen Namen. Man ist also permanent am Überlegen, wer von den Personen aktuell dieses und jenes Problem haben könnte und mit wem er/sie es diskutieren würde.

Na ja, im Zweifelsfall ist der Gesprächspartner ohnehin Archie Lestrange, der alte Kumpel von Rupert Cazalet. Er spielt den Ersatzvater für Ruperts verwaiste Kinder und wird ob seiner Gutmütigkeit von der ganzen Sippe als Beichtvater und Notnagel ausgenutzt. Er kapiert das sehr wohl, wehrt sich aber nicht dagegen. Das ist wohl der Preis, den er für seine Quasi-Familienzugehörigkeit zu den Cazalets zu zahlen gewillt ist. Archie wird seine Gründe haben …

Die Autorin

Elizabeth Jane Howard wurde am 26. März 1923 in London geboren. Sie arbeitete als Schauspielerin und Modell, bevor sie 1950 ihren ersten Roman, ›The Beautiful Visit‹, schrieb, für den sie 1951 mit dem John Llewellyn Rhys Prize ausgezeichnet wurde. Es folgten weitere Romane, eine Sammlung von Kurzgeschichten und Slipstream (2002), ihre Autobiographie. Bis 1983 war sie verheiratet mit Kingsley Amis und damit die Stiefmutter von Martin Amis, der es ihr, wie er sagt, verdankt, dass er zum Schriftsteller wurde. Im Jahr 2000 verlieh Queen Elizabeth II. ihr den Verdienstorden Commander of the British Empire. Am 2. Januar 2014 verstarb Howard mit 90 Jahren in ihrem Haus in Suffolk.

Die Übersetzerin

Ursula Wulfekamp, 1955 im südenglischen Salisbury geboren, übersetzt seit über dreißig Jahren Belletristik und kunsthistorische Sachbücher aus dem Englischen. Zu den von ihr übersetzten Autorinnen gehören u.a. Tracy Chevalier, Maeve Binchy und Joanne Harris. Ursula Wulfekamp lebt in Prien am Chiemsee.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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