Viola Eigenbrodt, Tobias Reimann: Bilder, Tod und Volksmusik. Ein Krimi aus Südtirol

Viola Eigenbrodt, Tobias Reimann: Bilder, Tod und Volksmusik. Ein Krimi aus Südtirol, Leonberg 2020, Independently published, ISBN 979-8-66332288-1, 332 Seiten, Softcover, Format: 12,7 x 2,1 x 20,3 cm cm, Buch: EUR 16,80, Kindle: EUR 4,99.

Cover Bilder, Tod und Volksmusik
Abb.: (c) V. Eigenbrodt

Beim Wandern spurlos verschwunden

In der Kunst- und Promi-Szene Merans gehört ein extravagantes Künstlerpaar mittleren Alters zu den Stars: der attraktive Maler Erwin Tschurtschenthaler und seine Ehefrau, die blinde Volksmusik-Sängerin Magdalena Ganthaler. Als Erwin von einer mehrtägigen Wanderung nicht zurückkehrt und auch nicht anruft, macht Magdalena sich zunächst keine Sorgen. Ihr Mann taucht öfter mal für kurze Zeit unter. Künstler brauchen eben ihre kleinen Auszeiten. Ihren Alltag bewältigt die Sängerin trotz ihrer Behinderung auch ohne seine Hilfe.

Erst nach vier Tagen kommt Magdalena die Sache merkwürdig vor und sie geht zur Polizei. Die Carabinieri sind ganz aus dem Häuschen, weil eine so prominente Dame sie aufsucht. Maresciallo Franco Marini lässt es sich nicht nehmen, die berühmte Sängerin und ihren Blindenführhund persönlich nach Hause zu chauffieren. Die Künstlerin bewirtet und umschwirrt den Polizisten, und seine professionelle Distanz ist beim Teufel. Von dieser Seite werden garantiert keine kritischen Fragen kommen.

Alles nur ein Marketing-Gag?

Der Vermisstenfall fällt sowieso nicht in die Zuständigkeit der Carabinieri, sondern in die der Kommissare Lolita Mitteregger und Matthias Ohnewein. Die nehmen die Sache leider nicht allzu ernst. Wenn die Ganthaler erst nach vier Tagen daherkommt und dabei ruhig und gelassen bleibt, wird das Verschwinden ihres Gatten schon nicht so dramatisch sein. Und, wer weiß, vielleicht ist das ganze sowieso nur ein Marketing-Gag, um ihr neues Album und seine Bilder zu promoten! Also unternehmen die Kommissare zunächst einmal nichts.

Hätten sie mehr über das Promi-Paar gewusst, wären sie vielleicht doch schneller aktiv geworden. Die Sängerin hat eine, sagen wir mal, bewegte Jugend gehabt. Ihre dubiosen Kontakte aus jener Zeit hält sie ebenso unter dem Deckel wie den wahren Zustand ihrer Ehe. Wenn zwei große Egos aufeinandertreffen, kann das der Liebe schnell den Garaus machen. Doch davon soll das Publikum nichts erfahren.

Der Galerist ermittelt selbst …

Der einzige, der sich wirklich Sorgen um den Vermissten macht und willens ist, etwas zu unternehmen, ist der Galerist Walter Gasser. Dass Erwin dieses Mal ohne ihn wandern gegangen ist und nicht einmal Bescheid gesagt hat, wundert ihn sehr. Als Gasser Aquarelle zugschickt bekommt, die sein Freund angeblich unterwegs angefertigt haben soll, schrillen bei ihm sämtliche Alarmglocken. Das sind definitiv Fälschungen! 

Ist das ein Hinweis? Worauf? Ist Erwin etwas zugestoßen? Sollen die Aquarelle lediglich vortäuschen, dass es ihm gut geht? Aber wer könnte so etwas tun? Etwa der exzentrische Dirndl-Designer, mit dem er neulich einen heftigen Streit gehabt hat? Ist diese Auseinandersetzung der Grund für Erwin Tschurtschenthalers Verschwinden? Dass er auf die Hilfe der Polizei nicht zählen kann, wird Gasser recht schnell klar. Also sucht er auf eigene Faust nach seinem Freund. 

Auch zwei Klatschreportern ist mittlerweile aufgegangen, dass bei dieser Geschichte was nicht stimmen kann. Sie stellen auf ihre Weise Nachforschungen an: Sie wühlen im Dreck der regionalen Schickeria. Dort finden sie höchst aufschlussreiches Material – und eine Vielzahl möglicher Motive. So bieder, wie es nach außen hin wirkt, geht’s zum Beispiel in der Volksmusikszene gar nicht zu.

Das Problem bei den meisten Amateur-Detektiven ist allerdings, dass sie keine Ahnung haben, wozu die Menschen fähig sind, denen sie auf die Zehen treten. Und wenn ihre Gegner wirklich ernst machen, haben sie dem nichts entgegenzusetzen. Das bekommt auch der besorgte Galerist zu spüren …

Verstörender Blick hinter die Fassaden

Nach den Beschreibungen in diesem Roman würde man am liebsten gleich durch Meran spazieren, allerdings nicht unbedingt in der gleißenden Sommersonne. Mit ihren Schilderungen machen uns die Autoren Appetit auf die Stadt, die Region und auf deren kulinarische Genüsse. Den Hauptfiguren dagegen möchte man nicht unbedingt begegnen. Dafür kennt man sie schon zu gut. Recht schnell blicken wir hinter ihre freundliche gesellschaftliche Fassade, weil Viola Eigenbrodt und Tobias Reimann die Vorgeschichte der Personen, ihre Schwachstellen und ihren Umgang damit regelreicht sezieren. Dadurch verstehen wir sehr gut, warum die Menschen so handeln, wie sie handeln, aber es macht sie uns nicht unbedingt sympathisch.

Dies gilt auch für die Hauptfigur, die blinde Sängerin Magdalena Ganthaler. Sie hat viel mitgemacht im Leben und man schwankt zwischen Mitgefühl und Entsetzen. Sie kann einem leid tun, trotzdem denkt man: „Was für ein Biest! Wie die schon mit ihrem Hund umgeht!“ Ihr verschwundener Ehemann taugt ebenfalls nicht zum Sympathieträger. Und dafür, dass Kommissarin Mitteregger derzeit nicht ganz auf dem Damm ist, hat man zwar Verständnis, aber das gibt ihr nicht das Recht, den Vermisstenfall derart schleifen zu lassen! Ihre Kollegen stehen jetzt wie die letzten Schlafmützen da. Aber wie hätten sie auch ermitteln sollen, wenn sie gar nicht gewusst haben, dass die Kommissarin wichtige Informationen einfach unter den Tisch fallen lässt?

Wenn uns Leser*innen nichts an dem Verschwundenen liegt und wir weder mit seiner biestigen Ehefrau noch mit den untätigen Polizeibeamten mitfiebern können, was hält uns dann emotional bei der Stange? Es ist das Engagement des Galeristen Gasser. Er scheint der einzige zu sein, dem wirklich etwas an Tschurtschenthaler liegt und der unbedingt Antworten haben will. Weil die Autoren uns mehr wissen lassen als ihn, sehen wir ihn buchstäblich ins Messer laufen. Dabei hoffen wir die ganze Zeit, dass ihm als einem der wenigen „Anständigen“ in dieser Geschichte nichts passiert.

„Director’s Cut“

Wäre der Krimi ein Film, wäre dies hier der „Director’s Cut“. BILDER, TOD UND VOLKSMUSIK ist bereits 2017 unter dem Titel ROSENGESCHMACK in einem inzwischen nicht mehr existierenden Verlag erschienen. Um den Band in die Reihe der „Krimis aus Südtirol“ zu integrieren, haben Viola Eigenbrodt und ihr Co-Autor Tobias Reimann den Band überarbeitet und um 120 Seiten erweitert. Jetzt spielt die Geschichte zeitlich nach MARMOR, WEIN UND BIENENGIFT. Einzelne Szenen wurden anders platziert – der Krimi wurde sozusagen „umgeschnitten“ –, das ganze hat mehr Tempo und „Action“ bekommen und auch die Beweggründe mancher Figur werden noch deutlicher herausgearbeitet. 

Den Stoff nochmals anzupacken war meines Erachtens eine gute Entscheidung. Jetzt dürfen wir gespannt sein auf weitere Fälle des Ermittlerteams. Mich würde ja interessieren, ob Commissaria Lolita Mitteregger wieder Tritt fasst. Sie hat zweifellos ihre Schwächen, aber so verpeilt wie derzeit war sie nicht immer. Ihre Karriere hat einmal vielversprechend begonnen, wie ihr Kollege Matthias Ohnewein glaubhaft versichert. Ich würde gerne sehen, wie sie ihre Kontakte für die Ermittlungen nutzt und mal so richtig zu Höchstform aufläuft.

Die Autorin

Viola Eigenbrodt ist Journalistin, Dozentin für Kreatives Schreiben und Schriftstellerin. Mit ihrer Familie hat sie einige Jahre in Meran gelebt und gearbeitet. Sie kennt Land und Leute gut, die eigenwilligen Charaktere, die manchmal altertümlich anmutende Sprache und die liebenswerten Marotten der Bewohner der sonnigen Alpensüdseite. Heute lebt sie mit ihrem Mann in der Nähe von Stuttgart. Beim Blick ins Grüne hat sie Ruhe zum Schreiben.


Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert