Carla Berling: Klammerblues um zwölf. Roman

Carla Berling: Klammerblues um zwölf. Roman, Wilhelm Heyne Verlag, ISBN 978-3-453-42412-8, Klappenbroschur, 270 Seiten, Format: 11,9 x 2,2 x 18,8 cm, Buch: EUR 9,99 (D), EUR 10,30 (A), Kindle: EUR 9,99, auch als Audio-CD lieferbar.

Abb.: (c) Wilhelm Heyne Verlag

„Ich war perplex und wusste nicht, was ich sagen sollte. (…) Das konnte ich doch gar nicht! Ich war, trotz meines Kostüms, immer noch Fee, die Witwe von Teddy, die ewig zweifelnde, immer zögernde Fee. Die Frau, die sich nicht traut. Ratlos starrte ich auf die Visitenkarte.“ (Seite 256)

Nach 35 Jahren ist die Beziehung der Kölnerin Felicitas „Fee“ Branding (57) und ihrem Mann Teddy (66) nicht mehr so prickelnd. Wie so viele andere bleiben sie zusammen, weil sie aneinander gewöhnt sind und eine Trennung zu viel Stress und Aufregung in ihr Leben brächte.

Als Teddy in Rente geht, kündigt auch Fee ihren Job, um mit ihrem Mann zusammen zu reisen. Das ist  immer sein Traum gewesen. Fees Traum wäre ein Hausboot auf dem Rhein, aber den hat sie, wie die meisten anderen Träume, nie verwirklichen können. Sie hat sich einfach nicht getraut.

Plötzlich arbeitslos und Witwe

Ihrem Job trauert Fee nicht nach. DOB-Fachverkäuferinnen der alten Schule, die gerne beraten und verkaufen, sind heute nicht mehr gefragt. So, wie’s bei der Arbeit zuletzt lief, hat das wirklich keinen Spaß mehr gemacht. Da ist es schon besser, in der Weltgeschichte herumzureisen. Doch dazu kommt es nicht. Teddy wird schwer krank und stirbt. 

Die Branding-Töchter wohnen mit ihren Familien in Berlin bzw. Hamburg und haben in ihrem geschäftigen Leben keine Kapazität frei für die Sorgen der frisch verwitweten Mutter. Fee igelt sich ein, zieht sich Fernsehserien und Fastfood rein und versteckt sich vor der Realität. Doch die holt sie mit Macht ein: Von der Witwenrente kann Fee ihre Wohnung nicht halten. Sie muss sich entweder eine neue Arbeit oder eine billigere Unterkunft suchen. Am besten beides, und das zackig. Doch das ist für jemanden in der akuten Trauerphase ein nahezu unbewältigbarer Kraftakt.

Da trifft es sich gut, dass Nachbarin Claudine (60) auch gerade neu anfangen muss. Ihre Pläne, zusammen mit ihrer Tochter in eine große Wohnung zu ziehen, haben sich zerschlagen. Jetzt sucht die temperamentvolle Weinhändlerin nach neuen Mitbewohnerinnen für eine Seniorinnen-WG. Fee, deren Sätze vorzugsweise mit „ja, aber“, „nein, weil“ und „früher“ anfangen, sagt für ihre Verhältnisse erstaunlich schnell zu, obwohl sie ihre künftigen WG-Genossinnen kaum kennt. 

Seniorinnen-WG als Alternative

Zum Entsetzen ihrer Kinder verkauft und verschenkt sie den Großteil ihrer Habe und zieht mit Claudine und der ehemaligen Fahrlehrerin Mary (72) zusammen. Diese ist mitnichten die biedere, wohlhabende Witwe, für Fee sie zunächst gehalten hat, sondern eine Alt-68erin „eine von den jungen Wilden, (…) die für die Emanzipation und gegen den Schah von Persien demonstriert, sich gegen Atomkraft und für den Frieden stark gemacht“ haben (Seite 107). Und die, nach eigenem Bekunden, mit jedem Kerl ins Bett gegangen ist, der ihr gefallen hat. Das haut die prüde Fee beinahe um.

Das Zusammenleben der drei Frauen klappt erstaunlich gut. Trotzdem droht Fee von der Trauer in eine Depression abzurutschen. Da ist es auch nicht hilfreich, wenn Claudine und Fees Ex-Kollege Gerd-Karsten ihr in aller Deutlichkeit sagen, dass sie fett und faul geworden ist und keinen Job kriegen wird, wenn sie sich weiterhin so gehen lässt. 25 Kilo abspecken soll sie und sich endlich von ihrer altbackenen Frisur verabschieden. Doch nur ganz zaghaft kann Fee sich zu kleinen Veränderungen durchringen. 

Und es ist wie verhext: Sobald sich irgendwo eine winzige Verbesserung ergibt, hält das Schicksal schon den nächsten Nackenschlag für Fee bereit. Ein toller Job hat einen dicken Haken, und ihr neuer Schwarm, der attraktive Hundebesitzer, meldet sich nicht mehr. Aber was soll’s? Bei ihrem Glück ist er vermutlich sowieso ein schwuler Friseur oder ein treu sorgender Familienvater …!

Gefühle, verpackt in Musik

In der WG fühlt Fee sich mehr und mehr wie ein Fremdkörper. Die anderen Frauen haben tolle Freund*innen und immer was Interessantes zu erzählen. Sie selbst hat nur Gerd-Karsten und dessen Ehemann – und ihre Familie, die sich nur dann meldet, wenn sie was braucht. Alle anderen Freunde haben sich nach Teddys Tod abgeseilt. Und weil sie nichts erlebt, kann Fee den anderen auch nichts Spannendes erzählen. Über ihre Probleme zu reden schafft sie nicht. Sie kennt nur eine Möglichkeit, ihre Gefühle auszudrücken: über die Musik. Von klein auf hat sie Popsongs gesammelt, die ihr Mann ihr in einer aufwändigen Aktion digitalisiert hat. Für jede Stimmung und jede Lebenslage kann Fee jetzt auf ihrem Computer den passenden Song aufrufen und abspielen. Was sie in der WG zur Freude ihrer Mitbewohnerinnen auch öfter mal tut.

„In der Musik fühlte ich mich sicher, ließ Emotionen zu, spürte Lebensfreude und Zuversicht. Meine melancholische Stimmung löste sich auf, so als ob man in einem stickigen Zimmer das Fenster öffnet und die hereinströmende kühle Luft inhaliert.“ (Seite 175)

Dass das, was sie für eine zweitklassige Kommunikationsfähigkeit gehalten hat, in Wahrheit ein begehrtes Talent ist, wäre Fee nie in den Sinn gekommen. Da können ihre Mitbewohnerinnen erzählen, was sie wollen: Wie soll ihr denn bitte das Zusammenstellen und Abspielen von Musik bei der Lösung ihrer Probleme helfen? Wir werden sehen …

Witzig, ernst und lebensklug

Ich habe den Eindruck, dass das karikaturhafte Buchcover den Roman etwas unter Wert verkauft. Natürlich ist KLAMMERBLUES UM ZWÖLF witzig – wenn die reifen Mädels, frisch von der Leber weg erzählen, wenn sie feiern, streiten und lästern oder wenn ihnen irgendwelche peinlichen Missgeschicke passieren. Aber es ist auch ein lebenskluger Roman übers Älterwerden, über die Angst vor Veränderungen, über unerfüllte Träume, Neustarts und den Wert von Freundschaft. Und die Vorgeschichten der WG-Bewohnerinnen sind alles andere als komisch. Das sind Schicksale! Ein seicht-alberner Schenkelklopfer, wie das Cover wohl suggerieren möchte, ist der Roman definitiv nicht.

Das perfekte Lesevergnügen hat man dann, wenn man im ungefähren Alter der Heldinnen ist und die Popsongs und Schlager kennt, in denen Fee denkt. Wenn man sofort die entsprechende Melodie und ein paar Textfragmente im Kopf hat, weiß man genau, welches Gefühl gerade transportiert werden soll. Ein Buch mit eigenem Soundtrack, das hat man nicht alle Tage! Und die Flirtszene auf der Silvesterparty ist eine der besten ever!

Neustart-Geschichten

Das Grundthema ist hier ungefähr das gleiche wie bei der Heldin aus Carla Berlings voriger Komödie DER ALTE MUSS WEG: Brave Frau Ende 50, gefangen in einer langjährigen und langweiligen Beziehung, ist plötzlich dazu gezwungen, festgefahrene Gewohnheiten zu hinterfragen, etwas zu riskieren und sich zu verändern. Natürlich entwickeln sich die Geschichten dann in verschiedene Richtungen, und beide sind klasse. Für Stammleserinnen wie mich wär’s trotzdem nett, wenn es bei der nächsten Komödie eine etwas andere Ausgangslage gäbe. Wenn es aber einen großen Markt für die „Neustart mit 60“-Geschichten gibt, dann müssen die vielleicht genau so aufgebaut sein und eine Variationsbreite ist gar nicht gewünscht. Aber da zerbreche ich mir jetzt, glaube ich, den Kopf der Autorin und des Verlags. Ich lasse mich einfach von dem überraschen, was als nächstes kommt.

Die Autorin

Carla Berling, Ostwestfälin mit rheinländischem Temperament, lebt in Köln, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Mit der Krimi-Reihe um Ira Wittekind landete sie auf Anhieb einen Erfolg als Selfpublisherin. Bevor sie Bücher schrieb, arbeitete Carla Berling jahrelang als Lokalreporterin und Pressefotografin. Sie tourt außerdem regelmäßig mit ihren Romanen durch große und kleine Städte. Zuletzt erschien ihr Roman „Der Alte muss weg“.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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