Elizabeth Jane Howard: Die neue Zeit. Die Chronik der Familie Cazalet, Band 5 von 5

Elizabeth Jane Howard: Die neue Zeit. Die Chronik der Familie Cazalet, Band 5 von 5, OT: All Change, aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Ursula Wulfekamp, München 2020, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-14743-9, Klappenbroschur, 551 Seiten, Format: 13,5 x 4,8 x 20,8 cm, Buch: EUR 16,90 (D), EUR 17,40 (A), Kindle: EUR 14,99.

Abb.: (c) dtv

Sussex und London, 1956 – 1958: Kenner*innen der Reihe begleiten die großbürgerliche britische Holzhändlerfamilie Cazalet schon seit vielen Jahren. Die Geschichte um Brig, seine Frau Duchy und ihre zahlreichen Nachkommen hat im Jahr 1937 begonnen. Da war der Stammbaum noch vergleichsweise übersichtlich. In den vorigen Bänden haben wir miterlebt, wie sich der Zweite Weltkrieg auf Soldaten, Zivilisten und die Firma ausgewirkt und wie sich die Gesellschaft verändert hat. 

Im fünften und letzten Band sind wir im Jahr 1956 angekommen. Wer als Leser jetzt erst in die Reihe einsteigt, hat schlechte Karten: Viele in der Großfamilie sind zum zweiten Mal verheiratet. Es gibt „meine, deine, unsere“ Kinder und solche außerhalb der Ehe. Freunde, Bedienstete, Geliebte, Schwäger*innen, Cousins und Cousinen sowie eine unüberschaubare Anzahl von (Ur-)Enkel*innen bevölkern den Roman. Auch wer die Reihe von Anfang an verfolgt hat, muss öfter mal im Stammbaum nachsehen, welche Nebenfigur zu wem gehört. Den „Hauptcast“ – die vier Cazalet-Geschwister sowie die drei Cousinen Louise, Polly und Clary, hat man noch im Griff, aber darüber hinaus wird’s schwierig.

Die Söhne und die Tochter

  • Hugh Cazalet (geb. 1896), der älteste Bruder, ist jetzt der Firmenchef, verwitwet und in zweiter Ehe mit der patenten Jemima verheiratet. Eigentlich ist er kein Geschäftsmann, er ist in diese Rolle hineingezwungen worden. Weil er nicht genau weiß, was er tut, macht er sicherheitshalber alles so wie sein Vater früher. Dass man etwas ändern muss, um konkurrenzfähig zu bleiben, ist ihm nicht bewusst und er ist leider völlig beratungsresistent. 
  • Edward Cazalet (geb. 1897), geschieden von Viola, verheiratet mit Diana, versucht vergeblich, seinem Bruder einen Firmenverkauf oder die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft schmackhaft zu machen. Ihm ist klar, dass sie auf den Bankrott zusteuern, wenn sie nicht mit der Zeit gehen. Leider ist Edward eine feige Socke und knickt bei den ersten Widerworten ein. Hugh ist ohnehin nicht gut auf ihn zu sprechen. Er verübelt ihm die Scheidung von Viola und die Heirat mit der vulgären Diana.
  • Rupert Cazalet (geb. 1903), verwitwet, in zweiter Ehe verheiratet mit Zoe, ist Künstler und weiß, dass er nicht zum Geschäftsmann taugt. Doch vom Verkauf seiner Bilder konnten er und seine wachsende Kinderschar auf Dauer nicht leben, also musste er notgedrungen ins Familienunternehmen einsteigen. Für Verhandlungen ist er nicht gemacht, weil er immer auch den Standpunkt des Gegners versteht.
  • Rachel Cazalet (geb. 1899), die unverheiratete Schwester, ist stets nur für andere da, lebt auf dem Familienanwesen „Home Place“ in Sussex – und von ihren Firmenanteilen. Einen Beruf hat sie nie ausgeübt. Nach dem Tod ihrer Eltern kann sie endlich mit der Musikerin Sidney zusammenleben. Jahrzehnte lang mussten die lesbischen Lebensgefährtinnen so tun, als seien sie nur beste Freundinnen.

Die Enkel-Generation

  • Louise (geb. 1923), geschieden und als Schauspielerin gescheitert, verplempert ihr Leben mit schlecht bezahlten Fotomodell-Jobs und den falschen Männern. Ein Jammer! Die Frau ist so klug, aber nichts, was macht, hat Zukunft.
  • Polly (geb. 1925) hat den liebenswerten doch ebenso wie hilf- wie nutzlosen Lord Fakenham geheiratet und wurstelt sich zäh durch ein Leben mit vielen Kindern, wenig Geld und der Mammutaufgabe, das Anwesen, das ihr Mann geerbt hat, vor dem Verfall zu bewahren.
  • Clary (geb. 1923) ist mit Archie Lestrange verheiratet, einem Freund der Familie, der locker 20 Jahre älter ist als sie. Er ist Kunstmaler und –lehrer, sie Schriftstellerin und Dramatikerin. Sie haben zwei Kinder, einen chaotischen Haushalt und sind ständig knapp bei Kasse. Bald gesellen sich auch noch Beziehungsprobleme dazu.

Naiv oder abgebrüht?

Auch der Rest der Sippe kriegt weder Liebesleben noch Finanzen zufriedenstellend geregelt. Bei manchen fragt man sich, ob sie abgebrüht sind, naiv oder nur den Schuss nicht gehört haben. Neville und Juliet mögen, genau wie die Leserschaft, den Überblick über den Stammbaum verloren haben, in dem Onkeln und Tanten jünger sind als Neffen und Nichten und sich alle in einer Altersklasse der Einfachheit halber als Cousins und Cousinen bezeichnen – aber in welcher Welt wäre eine Ehe zwischen ihnen beiden legal? Die Reaktionen der Familie auf dieses Ansinnen fallen überraschend lauwarm aus. Da hätte ich deutlich mehr Entsetzen und Aufruhr erwartet. He, Junge, äh … Knast?

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit

Während sich die älteren Cazalets im Glanz vergangener Zeiten sonnen und verdrängen, dass sich seit dem Krieg vieles geändert hat, bricht ihr Firmenimperium zusammen. Jetzt hat die einst so wohlhabende Sippe auf einmal kein Geld mehr. Kaum eine*r verfügt über irgendwelche Kenntnisse oder Fertigkeiten, die auf dem freien Markt zu Geld zu machen wären. Besonders hart erwischt es die unverheiratete Tante Rachel, die sich immer von der Verwandtschaft ausnutzen ließ und sich in finanziellen Dingen auf sie verlassen hat. 

Nein, in diesen Zeiten reicht es einfach nicht mehr, in privilegierte Verhältnisse hineingeboren worden zu sein. Wenn man alles schleifen lässt und nicht für schlechte Zeiten vorsorgt, steht man irgendwann da im kurzen Hemd. Tja. Und in der Krise zeigt sich dann der Charakter …

Ich hatte das Gefühl, dass es für die Firma besser gewesen wäre, wenn nicht die Brüder sie geleitet hätten, sondern ihre Frauen. Der praktisch veranlagten Viola und Jemima, die vor ihrer Ehe im Unternehmen gearbeitet hat, hätte ich diesbezüglich einiges zugetraut. Auch Rachel mit ihrem Organisationstalent hätte was bewegen können. Aber die Zeiten waren nicht danach. Ob’s die folgenden Generationen besser hinkriegen? Hm … sieht irgendwie nicht danach aus.

Wenn eine beliebte Reihe zu Ende geht …

DIE NEUE ZEIT ist nicht mehr ganz so packend wie die vorigen Bände. Es ist das Alterswerk der Autorin. Sie war fast 90, als sie es schrieb. Und sie stand vor der Herausforderung, all die offenen Handlungsstränge zu einem zufriedenstellenden Abschluss zu bringen. Bei dieser Fülle an Romanfiguren ist das fast nicht zu machen. Was aus der einen oder anderen Nebenfigur geworden ist, hätte mich schon interessiert. Violas gesamter Anhang ist z.B. nach ihrer Scheidung aus dem Blickfeld verschwunden. Schade. Da waren ja schon ein paar Kaliber dabei! Und wenn die unerträgliche Evie immer nur Karten ohne Absender an ihre Schwester schreibt, wird sie das vermutlich noch Jahrzehnte lang tun, ohne je zu erfahren, dass die Post ins Leere läuft, weil die Schwester jung gestorben ist.

Den einen hätte ich mehr Glück gegönnt, den anderen einen noch kräftigeren Dämpfer, und bei manchen hatte ich das Gefühl, sie handeln in diesem Band völlig uncharakteristisch. Aber das Gemecker kennen wir ja von GAME OF THRONES. Wann immer eine beliebte Serie zu Ende geht, bleibt Publikum zurück, das manches lieber anders gehabt hätte. Wie dem auch sei: Die Handlung der Reihe war nicht immer spektakulär, aber ich habe stets gern bei den Cazalets über den Gartenzaun geschaut.

Die Autorin

Elizabeth Jane Howard wurde am 26. März 1923 in London geboren. Sie arbeitete als Schauspielerin und Modell, bevor sie 1950 ihren ersten Roman, ›The Beautiful Visit‹, schrieb, für den sie 1951 mit dem John Llewellyn Rhys Prize ausgezeichnet wurde. Es folgten weitere Romane, eine Sammlung von Kurzgeschichten und Slipstream (2002), ihre Autobiographie. Bis 1983 war sie verheiratet mit Kingsley Amis und damit die Stiefmutter von Martin Amis, der es ihr, wie er sagt, verdankt, dass er zum Schriftsteller wurde. Im Jahr 2000 verlieh Queen Elizabeth II. ihr den Verdienstorden Commander of the British Empire. Am 2. Januar 2014 verstarb Howard mit 90 Jahren in ihrem Haus in Suffolk.

Die Übersetzerin

Ursula Wulfekamp, 1955 im südenglischen Salisbury geboren, wuchs in England und Deutschland auf und studierte Germanistik und Anglistik in Regensburg und Tübingen. Neben Tätigkeiten als Redakteurin und Lektorin in London und München übersetzt sie seit über dreißig Jahren Belletristik und kunsthistorische Sachbücher aus dem Englischen. Zu den von ihr übersetzten Autorinnen gehören u.a. Elizabeth Jane Howard, Tracy Chevalier, Agatha Christie, Maeve Binchy, Annie Leibovitz und Joanne Harris. Ursula Wulfekamp lebt in Prien am Chiemsee.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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