Pierdomenico Baccalario: Der Zauberladen von Applecross (Bd. 1) – Das geheime Erbe (10 – 12 J.)

Pierdomenico Baccalario: Der Zauberladen von Applecross (Bd. 1) – Das geheime Erbe (10 – 12 J.), OT: La Bottega Battibaleno – Una valigia di stelle, aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Neeb und Katharina Schmidt, Münster 2021, Coppenrath Verlag, ISBN 978-3-649-63916-9, Hardcover, 224 Seiten, s/w-Illustrationen von Iacopo Bruno, Format: 15 x 2,5 x 21,1 cm, Buch: EUR 13,00, Kindle: EUR 9,99, auch als Hörbuch lieferbar (Ausgabe von 2014).

Abb.: (c) Coppenrath Verlag

„Was ist der Zauberladen?“, platzte ich heraus.
„Unsere Familie hat den Laden schon immer geführt“, erklärte Aiby und ihr Gesicht leuchtete auf. „Sobald wir an der Reihe sind, öffnen wir ihn.“
„Sobald ihr an der Reihe seid?“
„Es gibt da noch andere Familien, die sich ebenfalls darum kümmern.“
„Und was macht ihr?“
„An- und Verkauf und die Reparatur von ganz besonderen alten Gegenständen.“
 (Seite 85)

Im ländlichen Schottland, in jüngerer Vergangenheit: Wann genau die Geschichte spielt, wird nicht erwähnt – offenbar zu einer Zeit, in der es noch keine Handys gibt. Finley McPhee, 13, geht lieber zum Angeln als zum Unterricht. Dass er in der Schule inzwischen über 70 Fehltage angehäuft hat, bleibt anscheinend unbemerkt. Seine Eltern sind mit der Schafzucht beschäftigt und sein großer Bruder Doug kriegt sowieso nichts mit. Er ist nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte.

Lehrer und Schulleiterin sind aber auch ein paar Schnarchnasen! Hätten sie sich nicht früher bei den McPhees melden können? Erst kurz vor den Sommerferien, als klar ist, dass der Junge sitzen bleiben wird, melden sie sich bei dessen Eltern. Die fallen aus allen Wolken. Und damit Finley nicht auf noch dümmere Gedanken kommt, überantworten sie ihn dem Dorfpfarrer. Er soll den Burschen mit möglichst unangenehmen Arbeiten auf Trab halten.

Post austragen als Strafarbeit

Als der örtliche Postbote krankheitshalber ausfällt, wird Finley dazu verdonnert, die Post auszutragen. Das ist jetzt nicht besonders spannend, aber mit Dienstfahrrad und in Begleitung seines treuen Hundes Dusty durchaus erträglich.  

Finley kennt im Ort jeden Hund und jedes Schaf, aber von einem Zauberladen und einer Familie Lily in der Reginald Bay hat er noch nie gehört. Dort soll er jetzt einen Brief hinbringen. Aber da ist doch nichts! Das ist Brachland am Dorfrand, da wohnt kein Mensch. – Doch! Jetzt schon. Als Finley eintrifft, stehen auf dem Gelände ein Haus mit Ladengeschäft und Bäume, die vor ein paar Tagen noch nicht da waren. Auch das junge Mädchen, das ihm die Tür öffnet, hat er noch nie zuvor im Dorf gesehen. Sie wäre ihm garantiert aufgefallen: groß, schlank, schwarzhaarig, grünäugig – und obwohl sie schrille Pippi-Langstrumpf-Klamotten trägt, haut ihn ihre Schönheit um.

Seltsame neue Dorfbewohner

Nicht nur Aibys Kleidungsstil ist seltsam. Was ist das nur für ein Ding, mit dem sie ruckzuck einen Schaden an seinem Fahrrad behebt? Eben war’s noch ein Amulett an ihrer Halskette, jetzt gleicht es einer kleinen Roboterspinne aus Messing. Kein Zweifel: In Familie Lilys Laden werden keine Show-Effekte und Zauberkästen verkauft, da geht’s um echte Magie! Spätestens als Finley sieht, wie ein fremder Mann zum Friedhof schwebt und sich dort mit einem leuchtenden Totenkopf unterhält, wird ihm klar, dass im Begriff ist, in eine ganz wilde Geschichte hineinzugeraten.

Was geht hier vor?

Noch könnte er sich zurückziehen. Es geht ihn ja im Grunde nichts an. Aber er ist nun mal total verschossen in die geheimnisvolle Aiby und tut alles, um in ihrer Nähe zu sein. Und natürlich will er auch wissen, was hier gespielt wird:

  • Was verkauft der Zauberladen an wen? Und warum geschieht dies in dieser gottverlassenen Einöde, in der mit Laufkundschaft garantiert nicht zu rechnen ist?
  • Was schleichen hier auf einmal für merkwürdige Gestalten herum, die offenbar die Ladeneröffnung verhindern wollen?
  • Was hoffen die Lilys in der Schlossruine zu finden? Was immer es ist, sie scheinen es dringend für die Eröffnung ihres Ladens zu brauchen.
  • Wie hängt Professor Everett in der Geschichte mit drin? Er lebt erst seit seiner Pensionierung im Ort und betreibt ein Andenkengeschäft. Und er stellt merkwürdige Fragen, die Finley aber nicht abschrecken können. Im Gegenteil: Sie stacheln ihn erst recht zu weiteren Nachforschungen an. Ob das so eine gute Idee ist …?

Showdown in der Ruine

Wenn Finleys Eltern, die Schulleitung und der Pfarrer gewusst hätten, dass der Junge sich nun mit Gespenstern, wildgewordenen magischen Waffen, einem durchgeknallten Ausländer und einem gefährlichen Meeresriesen herumschlagen muss, hätten sie ihn sicher lieber die Schule schwänzen und angeln gehen lassen. Zumal mehr und mehr völlig Unbeteiligte in eine anscheinend uralte Magier-Fehde hineingezogen werden und dabei in Lebensgefahr geraten, ohne zu wissen, worum’s überhaupt geht. 

Der Showdown in der Schlossruine ist nicht von schlechten Eltern!

Nicht alle Fragen werden am Schluss des Buchs beantwortet, denn der vorliegende Band ist der Anfang einer bis jetzt vierbändigen Reihe. Ich weiß nicht, ob danach noch mehr kommt. Wer wissen will, wer hier Freund oder Feind ist und warum jemand mit aller Gewalt den Zauberladen zerstören will, wird die Reihe weiter verfolgen müssen. Oder, besser gesagt: Er/sie wird es wollen.

Wunderbare Illustrationen

Manchmal beurteile ich ein Buch tatsächlich nach seinem Einband. Dieser hier – und die Illustrationen innen im Buch – stammen von Iacopo Bruno. Ich liebe diese wahnsinnig detailreichen Darstellungen. Davon war ich stärker fasziniert als von der Geschichte selbst. Wenn der Held seine Abenteuer in der Ich-Form und in der Vergangenheit erzählt und klar ist, dass danach noch ein paar Bände kommen, können doch die gefährlichsten Dinge passieren: Man weiß, dass der Hauptfigur nichts passieren wird. 

Im Grunde ist alles, was Finley zustößt, selbst gewähltes Schicksal. Anders als beispielsweise Harry Potter hat Finley eine Wahl. Er macht sich aus reiner Neugier und weil er einem Mädchen imponieren will, fremde Probleme zu Eigen, die ihn naturgemäß überfordern. Finley ist ein Schulschwänzer und Bauernbub aber kein Magier. Würde er sich aus den Angelegenheiten der Familie Lily raushalten, wäre er auch nicht in Gefahr. Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass mal ein verantwortungsbewusster Erwachsener einschreitet und sagt: „Junge, lass das! Das ist eine Nummer zu groß für dich!“

Viele offene Fragen

Ich mag den jungen Helden, der nichts beschönigt und uns treuherzig erzählt, wenn er etwas vermasselt, sich blamiert oder eine unkluge Entscheidung getroffen hat. Aber ich habe es nicht geschafft, mit ihm mitzufiebern. Da blieb immer eine Distanz. Vielleicht bin ich inzwischen eine zu abgebrühte Serien-Leserin geworden und die jugendliche Zielgruppe empfindet es ganz anders. Möglicherweise liegt es auch daran, dass so viele Fragen offen sind und man ein wenig ratlos durch die Handlung schwimmt. 

Restlos überzeugt hat mich das Buch nicht. Vielleicht wird’s mit Band 2 besser. Es ist bei Fantasy-Geschichten ja öfter so, dass man als Leser*in erst einen gewissen Anlauf braucht, um die Welt, in der die Story spielt, zu verstehen. Wenn man dann kapiert hat, wie das dort läuft, geht’s auch mit der Handlung besser voran. Ich werde der Reihe noch eine Chance geben und mir auch den nächsten Band beschaffen.

Der Autor

Pierdomenico Baccalario wurde 1974 geboren und fing schon während der Highschool an zu schreiben. Wenn er sich im Unterricht langweilte, tat er so, als würde er sich Notizen machen – in Wirklichkeit dachte er sich aber Geschichten aus. Während des Jurastudiums wurde er in Italien mit seinem Roman „La strada del guerriero“ als bester Nachwuchsautor ausgezeichnet. Damit begann seine Karriere als Autor von Kinderbüchern.

Der Illustrator

Iacopo Bruno, geboren 1964, ist einer der renommiertesten Illustratoren Italiens. Er hat bereits über 300 Bücher für Kinder und Erwachsene illustriert, darunter die Reihen »Ulysses Moore« und »Harry Potter«. Iacopo Bruno lebt in Mailand.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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