Ingrid Zellner: Viel Tod um nichts. Ein Theaterkrimi

Ingrid Zellner: Viel Tod um nichts. Ein Theaterkrimi, Reutlingen 2024, Oertel + Spörer Verlag GmbH, ISBN 978-3-96555-163-3, Softcover, 266 Seiten, Format: 12 x 2,2 x 18,6 cm, Buch: EUR 13,00, Kindle: EUR 9,99.

Abb.: (c) Oertel + Spörer

„Seine Gedanken kreisten unablässig um die […] Mordfälle in diesem Theater, und irgendwas sagte ihm, dass die Geschichte noch nicht abgeschlossen war. Da würde noch etwas passieren. Auch wenn er keine Ahnung hatte, was. Es war nur so ein Gefühl.“ 

(Seite 229)

Kenner:innen der Krimis rund um den deutsch-indischen Kriminalkommissar Surendra Sinha (Ende 30) haben es schon lange befürchtet: Der Mann hält diesen Beruf auf Dauer nicht durch. Er nimmt sich seine Fälle viel zu sehr zu Herzen. Jetzt, nachdem ihn das Schicksal einmal mehr gebeutelt hat, hat er tatsächlich seinen Job hingeschmissen, lebt von seinem Erbe und überlegt, auf Dauer in Indien zu bleiben und vielleicht in der Touristikbranche zu arbeiten. 

Doch als sein alter Freund und Ex-Kollege Frank Hasemann, Kriminalhauptkommissar im Ruhestand, ihm eine Art „Notruf“ nach Amritsar schickt, setzt er sich ohne weitere Nachfrage ins nächste Flugzeug und fliegt nach Stuttgart. Endlich wieder eine Aufgabe! Wenn er da schon gewusst hätte, was Frank und die Kolleg:innen von der Kripo Reutlingen mit ihm vorhaben, wäre er wahrscheinlich in Indien geblieben und hätte auf Reiseleiter umgeschult. 😉Dazu gleich mehr.

Im Naturtheater Hayingen hat es eine Morddrohung gegeben: Der nächste, der in dem Stück „Mordsg’schiss wega nix“ – einer schwäbischen Adaption des Shakespeare-Stücks „Viel Lärm um nichts“ – den Don Pedro spielt, wird die Premiere nicht überleben.

Die Polizei nimmt diese Drohung sehr ernst, denn im Vorjahr, als man genau dieses Stück aufgeführt hat, ist der damalige Don-Pedro-Darsteller Peter Müller bei der Premiere tödlich verunglückt. Wobei „verunglückt“ wohl nicht das richtige Wort ist. Das Geländer, auf das er sich in einer Szene stützen musste, war angesägt und Müller ist in den Tod gestürzt. Wer dafür verantwortlich war, hat man nie herausgefunden.

Für das Theater war die Saison danach gelaufen, was natürlich finanzielle Einbußen bedeutet hat. Und jetzt, da man das Stück in veränderter Besetzung erneut auf die Bühne bringen will, soll es wieder zu einem Todesfall kommen? Warum? Der Darsteller ist doch jetzt ein anderer! Will jemand das Theater ruinieren? Aus welchem Grund? Kein Mensch profitiert davon, wenn es nicht mehr existiert.

Was das alles mit dem Ex-Polizisten Surendra Sinha zu tun hat? Nun, Frank Hasemann und seine Reutlinger Kolleg:innen halten es für eine gute Idee, ihn als „Undercover-Schauspieler“ in die Theaterproduktion einzuschleusen. Surendra ist entsetzt. Noch nie hat er auf einer Bühne gestanden! Dass er sich bei polizeilichen Ermittlungen oft verstellen musste, um an Informationen zu gelangen, geht doch nicht als Theatererfahrung durch!

Frank Hasemann und Kriminalhauptkommissarin Dorothea Kaiser sehen darin überhaupt kein Problem. Surendra wird mit einer falschen Identität sowie einer passenden Legende ausgestattet und die Rolle des Don Pedro extra für ihn wieder ins Hochdeutsche umgeschrieben. Auch wenn er viele Jahre in Baden-Württemberg gelebt hat: Schwäbisch kann er nicht. Na, dann kann’s ja jetzt losgehen!

Surendra Sinha hat ja schon viel gesehen und erlebt, aber das Theater ist für ihn eine völlig fremde Welt. In seine Aufgabe als Laienschauspieler wächst er erstaunlich schnell hinein, aber all das Gezicke, die Animositäten und die privaten und künstlerischen Eifersüchteleien, das ist er nicht gewöhnt! Was nicht heißen soll, dass es bei der Polizei keine Zickereien gibt. Der Reutlinger Kollege Jakob Kratz – nicht umsonst als „Kratzbürste“ bekannt – macht von Anfang an klar, dass er Surendra nicht ausstehen kann und ihn mit Vergnügen scheitern sähe. 

Als Leser hoffen wir natürlich, dass das nicht passieren wird. Er darf sich nur nicht verplappern, wenn er inkognito die Theaterleute aushorcht! 

Deren Beziehungen, Abneigungen und Loyalitäten sind für einen Außenstehenden schwer zu durchschauen. Beim mutmaßlichen Mord an Peter Müller vor einem Jahr hält Surendra inzwischen verschiedenste Motive für möglich: Homophobie, Eifersucht oder Rache, zum Beispiel. Doch es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, wer aktuell seinen Nachfolger auf der Bühne bedroht. Kollege „Kratzbürste“ reibt sich schon die Hände. Das mit dem Undercover-Einsatz wird wohl nix! Na, wir werden ja sehen!

Wir Leser:innen sehen fasziniert zu, wie Surendra sich in seiner Doppelrolle als Schauspieler und Undercover-Ermittler schlägt und wie im Ensemble die Fetzen fliegen. Und dann plötzlich, kurz vor der Premiere, überschlagen sich die Ereignisse und es geschehen Dinge, die man auch als routinierte:r Krimileser:in nicht unbedingt auf dem Schirm hatte. Nie wäre ich darauf gekommen, wer hinter diesen Drohungen steckt! Und warum. Die Zuschauer, die aufgrund des Medienrummels Eintrittskarten für die Premiere gekauft haben, werden auf jeden Fall eine Vorstellung erleben, die sie ihrer Lebtag nicht vergessen …

Surendras übergriffig-nervige Mutter hat mir in diesem Band ein bisschen gefehlt. Mit ihren beständigen Versuchen, ihren Sohn zu verkuppeln, hat sie ihn in den vorigen Bänden stets zuverlässig zur Weißglut gebracht und uns Leser:innen zum Lachen. Ohne diese befreiende Komik ist der Krimi ernster. Aber die Mutter – wie generell Surendras Privatleben – hätte in dieser Geschichte gar nicht genügend Raum gehabt. Für das Menschliche ist diesmal die Theatercrew zuständig. Und das ist vollkommen okay. Eine Serie darf sich entwickeln.

Jetzt bin ich gespannt, ob und wie’s weitergeht. Ich würde schon gerne sehen, wie Surendra Sinhas berufliche Zukunft aussieht. Und mit der „Kratzbürste“ bin ich als Leserin auch noch nicht fertig. Dem gehört mal eine auf den Deckel! Ja, was glaubt denn der, wer er ist?!

Bei einer Geschichte, die im Umfeld einer Theaterproduktion spielt, sind natürlich eine Menge Figuren unterwegs. Als kleine Hilfe gibt’s am Schluss ein Personenverzeichnis. Da kann man kurz nachgucken, wer welche Funktion hat, wenn man es nicht mehr weiß. Übrigens: Das Naturtheater Hayingen gibt’s wirklich. Die Autorin versichert uns jedoch, dass das Ensemble in Wahrheit wesentlich netter ist als der zerstrittene Haufen in ihrem Krimi.

Ingrid Zellner war u.a. zwölf Jahre lang Dramaturgin an der Bayerischen Staatsoper München. Heute lebt sie als Übersetzerin (Schwedisch), Autorin und Schauspielerin in Gomadingen auf der Schwäbischen Alb. Ihre bevorzugten Reiseziele sind die Länder Skandinaviens, die Arktis und Indien.

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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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