Jule Böhm: Das Weingut im Tal der Loreley, Roman, Hamburg 2024, Harper Collins, ISBN 978-3-365-00627-6, Softcover, 384 Seiten, Format: 12,8 x 4,2 x 18,6 cm, Buch: EUR 12,00 (D), EUR 12,40 (A), Kindle: EUR 7,99. Auch als Hörbuch lieferbar.
Mann, Job und Wohnung weg. Und jetzt?
Ja, so kann’s gehen, wenn man mit dem Chef liiert ist: Ist die Beziehung vorbei, hat man den Hattrick: Mann weg, Job weg, Wohnung weg. So geht es gerade der Köchin Mia Schumann (29). Nach einem gewaltigen Krach mit ihrem Lebensgefährten, dem Strasbourger Restaurantbesitzer Florent, packt sie ihre paar Habseligkeiten und lässt alles hinter sich. Wieder einmal.
Die Frage ist: wohin jetzt? Seit ihrer Teenagerzeit hat Mia ein unstetes Leben geführt, hat überall auf der Welt gelebt und gearbeitet aber nie Kontakte gepflegt. Selbst der zu ihrer Familie ist abgerissen – aus Gründen. Der einzige Mensch, den sie auf der Welt hat, ist ihre Schulfreundin Franziska, die immer noch in ihrem gemeinsamen Heimatort Spay in der Nähe von Koblenz lebt.
Franzi hat studiert, promoviert, geheiratet und ist Mutter geworden. Mia dagegen hat kurz vor dem Abi die Schule geschmissen, das Elternhaus verlassen und nie wieder zurückgeblickt. Ob Partnerschaft oder Beruf: Bisher ist sie nicht sesshaft geworden. Der Freundschaft der beiden jungen Frauen hat diese unterschiedliche Entwicklung keinen Abbruch getan.
Zurück in die alte Heimat
Es hilft alles nichts: Auch wenn es bedeutet, zurück in die alte Heimat und in die Nähe ihrer Familie zu kommen: Mia bleibt nichts anderes übrig, als bei Franzi unterzukriechen. Dass sie die täglichen Abläufe der jungen Familie stört, merkt sie schon am ersten Tag. So schnell wie möglich will sie eine Unterkunft und Arbeit finden – übergangsweise, bis sie weiß, wo und wie es für sie weitergeht.
Auf die Schnelle ist nur eines zu bekommen: Der befristete Job einer Haushälterin auf einem Weingut. Nicht auf irgendeinem Gut, sondern auf dem, das mal ihrer Familie gehört hat und das ihre Mutter vor 15 Jahren, nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, notgedrungen verkaufen musste. Sie hatte keine Ahnung vom Geschäft und auch nicht das Geld, um den verschuldeten Betrieb halten zu können.
Mias Mutter und ihren beiden älteren Schwestern hat der Neustart in der Stadt offenbar nichts ausgemacht. „Papa-Kind“ Mia dagegen hat sich entwurzelt und in ihrer Trauer unverstanden gefühlt. Gerne hätte sie das Gut später übernommen, nun ist ihr Traum geplatzt. Und es hat sich mehr denn je gezeigt, dass es in ihrer Familie schon immer zwei Einheiten gegeben hat: auf der einen Seite Papa und Mia und auf der anderen Mama und die Schwestern. Zur Pubertät und der Trauer um den Vater und das Zuhause ist bei Mia damals noch das Gefühl dazugekommen, ausgeschlossen und unerwünscht zu sein. Mit 18 war sie weg.
Als Angestellte im Elternhaus
Und jetzt ist Mia wieder zurück, als Angestellte in ihrem Elternhaus. Sie wohnt sogar in ihrem alten Kinderzimmer. Ihre Arbeitgeber, Vater und Sohn Lehmacher, wissen nur, dass sie mal auf dem Gut gewohnt hat. Details gehen sie nichts an. So besonders kommunikativ sind die Herren auch nicht. Peter Lehmacher, der Seniorchef, ist ein grantiger alter Stinkstiefel und hadert damit, dass eine fremde junge Frau im Haushalt herumwirtschaftet und damit den Platz seiner kürzlich verstorbenen Frau Susanne einnimmt. Was ja gar nicht Mias Absicht ist.
Der Sohn, Hannes Lehmacher, ist ungefähr in Mias Alter, recht ansehnlich aber nicht wesentlich freundlicher als sein Vater. Dafür sind die Arbeiter auf dem Gut sehr umgänglich und wissen Mias Kochkünste zu schätzen. Die Büroangestellte Katta wird sogar zu einer echten Freundin.
Nach und nach tauen auch die zwei Lehmacher-Männer auf und zwischen Mia und Hannes beginnt es zu knistern. Gar nicht gut, findet sie, denn sie will hier ja keine Wurzeln schlagen, sondern nach der Weinlese wieder weiterziehen.
Kontakt zur Familie – unfreiwillig
Das alles tritt in den Hintergrund, als Mias Mutter einen schweren Unfall hat. Nur widerwillig setzen ihre Schwestern sie davon in Kenntnis und reagieren beleidigt, als sie feststellen, dass Mia inzwischen wieder in Spay wohnt, ohne sich bei ihrer Familie gemeldet zu haben. Sie möchten auch nicht, dass ihre jüngste Schwester sich in irgendeiner Form um die Mutter kümmert, was die sich nicht gefallen lässt. Und schon tobt der schönste Zickenkrieg.
Als Leser:in ist man voll auf Mias Seite und hält die Schwestern für zwei furchtbare Weiber. Das ist fast so wie im Märchen vom Aschenputtel! Mias Freund:innen sehen das ebenso. Bis es einer vernünftigen Person zu bunt wird und sie eine Aussprache zwischen den drei Schumann-Schwestern erzwingt. Was dabei ans Licht kommt, ist überraschend – aber ein durchaus häufiges Phänomen. Offenbar haben wir nicht alle Informationen gehabt …
Zeit, erwachsen zu werden
Irgendwie müssen die drei Damen jetzt lernen, dass die Rollenzuschreibungen und Bewältigungsstrategien ihrer Kindheit heute nicht mehr funktionieren. (Was übrigens auch für Hannes Lehmacher gilt. Der braucht da auch dringend ein Update!)
Mia und ihre Schwestern sind als Teenager auseinandergegangen und als erwachsene Frauen wieder aufeinandergetroffen. Da kann man nicht einfach da anknüpfen, wo man vor einer Dekade aufgehört hat. Das funktioniert nicht. Wenn sie es jetzt nicht schaffen, ihre alten Muster zu durchbrechen und ihre Beziehung auf eine erwachsene Basis zu stellen, dann war’s das mit den Familienbanden. Dann wird Mia weiterziehen. Und das, wo sie gerade auf dem Weingut eine Art „Zweitfamilie“ gefunden hat!
Mia weiß: Eine Familie zu haben, kann anstrengend sein und nerven. Doch allein auf der Welt zu stehen ist auch nicht schöner. Sie hat beides erfahren. Und jetzt hat sie die Wahl …
Überraschender Perspektivwechsel
Die Beziehungen innerhalb der Familie(n) waren für mich das Kernthema des Romans. Die Liebesgeschichte habe ich eher als eine schöne „Beilage“ gesehen. Genau wie die stimmungsvollen Schilderungen der Landschaft am Mittelrhein und Mias appetitanregende Aktivitäten in der Küche. Ich mochte die lebensnahen Figuren und den überraschenden Perspektivwechsel in Bezug auf Mias Familiengeschichte. Es ist tatsächlich was dran: Man sollte immer beide Seiten kennen!
Die Autorin
Jule Böhm ist ein richtiges Naturkind und hat es als kleines Mädchen geliebt, die Wälder und Felder ihrer Heimat zu durchstreifen. Sie studierte Germanistik und Musik und arbeitete als Kauffrau im Gesundheitswesen. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt bei Köln. So richtig auftanken kann sie am besten an der Nordsee, wo sie und ihre Familie mindestens einmal im Jahr zu finden sind, bei Ostfriesentee und Rosinenbrötchen.
Affiliate Links
- Buch: https://amzn.to/3x2qPNN
- Kindle: https://amzn.to/3XkWnJg
- Hörbuch: https://amzn.to/3XpnToS
Ich bekomme eine kleine Provision, wenn ihr über diesen Link ein Produkt kauft.
Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de