Ben Aaronovitch: Eine Nachtigall in New York. Eine Thomas-Nightingale-Story

Ben Aaronovitch: Eine Nachtigall in New York. Eine Thomas-Nightingale-Story, OT. Masquerades of Spring, Deutsch von Christine Blum, München 2024, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN  978-3-423-22079-8, Softcover, 206 Seiten, Format: 12,2 x 1,73 x 19,1 cm, Buch: EUR 12,00 (D), EUR 12,40 (A), Kindle: EUR 9,99, auch als Hörbuch lieferbar.

Abb.: (c) dtv

„Ich möchte die Provenienz eines Saxophons ermitteln.“
„Eines Saxophons?“, fragte ich verdattert.
„Eines verzauberten Saxophons.“
„Wozu in aller Welt sollte jemand ein Saxophon verzaubern?“

(Seite 16)

Es gibt inzwischen über ein Dutzend Bände der „Flüsse-von-London“-Reihe, inklusive diverser Spin Offs, in denen Nebenfiguren im Mittelpunkt stehen. Das Konzept dieser Urban-Fantasy-Reihe werde ich jetzt also nicht mehr von Grund auf erklären. Es geht um Magie, die, wenn überhaupt, nur im Verborgenen eingesetzt werden soll. Doch wenn es gilt, Schaden von den Menschen abzuwehren, können sich Thomas Nightingale und seine Kolleg:innen vom Londoner „Folly“ nicht immer daran halten. Dann kommt’s zu allerlei Spektakel mit Sach- und sonstigen Kollateralschäden. Für die Betroffenen ist das nicht immer vergnüglich, für die Leserinnen und Leser schon.

In diesem Band ist nicht der zaubernde Londoner Polizist Peter Grant der Held, sondern sein Chef Thomas Nightingale. Die Geschichte spielt im New York der 1920er-Jahre. „Die Nachtigall“ ist da noch jung und knackig. Zumindest wirkt das so. Wie alt er wirklich ist, wissen wir nicht. Zauberern scheint die Zeit weniger anzuhaben als uns Normalsterblichen.

Erzählt wird dieses Abenteuer von Nightingales ehemaligem Schulkamerad Augustus „Gussie“ Berrycloth-Young. Gussie – Bonvivant und Jazzliebhaber -hat mit dem Zauberkram nie viel am Hut gehabt. Seine Schulzeit hat er mit Schabernack und amourösen Abenteuern verplempert und sich irgendwann nach New York abgesetzt. Geld hat er, arbeiten muss er nicht. Er genießt das Leben und seine mehr oder weniger heimliche Beziehung mit dem afroamerikanischen Werbetexter und Musikkritiker Lucien „Lucy“ Gibbs.

Gussie, dessen Erzählstimme in meinem Kopf immer etwas nasal und quengelig klingt, ist gnadenlos ehrlich zu uns. Er ist nicht der Intelligenteste und nicht der Mutigste, hat keinen Funken Ehrgeiz und will nur seine Ruhe. Dass nun der magische Überflieger Tommy Nightingale unangekündigt auf der Matte steht und sich bei ihm einquartiert, passt ihm gar nicht. Er weiß: Tommy ist niemals zum Spaß unterwegs. Wo er auftaucht, hat’s Ärger der übernatürlichen Art gegeben und er muss den Schaden begrenzen. Und Gussie hat keine Lust, sich da hineinziehen zu lassen. Das ist ihm viel zu stressig.

Na ja, eigentlich klingt’s ja recht harmlos, was Nightingale in New York vorhat. Und vielleicht ist das ruckzuck erledigt: Ein Musiker hat hier ein verzaubertes Saxophon gekauft und es nach London mitgenommen. Nightingale soll herausfinden, wer für diese Verzauberung verantwortlich ist. Jetzt könnte man sagen, ist doch wurscht, wenn ein Instrument ungewöhnlich gut spielt. Das schadet doch keinem. Doch als Molly, Nightingales stumme Haushälterin, die Klänge des Instruments vernommen hat, ist sie völlig außer sich geraten. Molly ist kein gewöhnlicher Mensch, sie ist eine Fae. Und wenn sie so ausrastet, dann ist wirklich was sehr, sehr faul.

Nightingale hat eine Spur: Der Musiker hat das verzauberte Instrument in einem New Yorker Pfandleihhaus erworben. Vielleicht kann man die Spur von dort aus zurückverfolgen? Gussie soll ihm dabei helfen. Und der hat jetzt ein doppeltes Problem: Sein Schulkamerad soll nicht merken, dass „Lucy“ für ihn mehr ist als nur ein guter Kumpel, und Lucy darf nicht erfahren, dass Thomas und er magische Fähigkeiten haben. Das wird jetzt schwierig …

Kreuz und quer geht’s für Thomas Nightingale, Gussie und den Musikexperten Lucy durch die New Yorker Musik- und Nachtclubszene. Sie bekommen es mit dubiosen Geschäftsleuten, Ganoven aller Größenordnungen, Musikverlegern, geschäftstüchtigen Frauen, einem Reverend mit bewegter Vergangenheit und mit einem gestressten Trompeter zu tun, der auch ein verzaubertes Instrument besitzt. Mitunter muss Nightingale energisch werden und ganz tief in die magische Trickkiste greifen, um an die gewünschten Informationen zu kommen. Was Lucys Cousine Amelia erstaunlich unbeeindruckt lässt. Offenbar weiß sie mehr über Zauberei als sie wissen dürfte.

Immer wieder kreuzt bei ihren Nachforschungen eine geheimnisvolle verschleierte Frau ihren Weg. Sie kann nicht sprechen, sagt der Reverend. Nightingale wird hellhörig. Ist die Dame vielleicht eine Fae wie seine Haushälterin? Sie scheint in Schwierigkeiten zu stecken. Aber wieso verlässt sie den Ort nicht einfach, der ihr nicht behagt? Fae können so etwas. Die kann man nicht einsperren. Was also hält sie zurück? Und was weiß sie über die verzauberten Instrumente?

Wie können Nightingale und seine Begleiter Kontakt zu ihr aufnehmen und ihr gegebenenfalls helfen? Bei einem Drag-Ball soll sie auf der Gästeliste stehen. Nightingale, Lucy und Gussie bereiten sich auf eine Begegnung vor. Ihr Plan klingt bestechend einfach, doch die Veranstaltung läuft vollkommen aus dem Ruder. Nicht nur Thomas Nightingale läuft beim großen Showdown zu magischer Höchstform auf, auch Gussie zeigt, was er kann. Das Resultat? Krawall, Sachschaden, Slapstick pur! Oh, das hätte ich gerne gesehen! Fans der Reihe kommen hier voll auf ihre Kosten.

Wer hier welche Ziele verfolgt und wie das alles zusammenhängt, erfahren wir am Schluss. Es bleiben allenfalls kleine Fragen offen. Woher wusste der Reverend, wie die stumme Frau heißt? Können Fae denn schreiben? Haushälterin Molly hat das meines Wissens noch nie getan.

Auch auf 200 Seiten schafft es der Autor, so viele Figuren unterzubringen, dass man sich unterwegs manchmal fragt: „Wer ist jetzt das schon wieder?“ Am besten, man liest das Buch in einem Rutsch durch, ehe man die Namen wieder vergisst.

EINE NACHTIGALL IN NEW YORK IST NICHT nur Spaß und Remmidemmi, das Buch funktioniert auch als historischer Roman. Wir erhalten Einblick in das Leben der Reichen und Schönen im New York der 1920er Jahre und bewegen uns dort in verschiedenen Szenen und Subkulturen. Wir sehen aber auch, wie die einfachen Leute leben, die sich kaum ihre Miete leisten können. Nightingales unterhaltsame magische Schnitzeljagd erweist sich ganz nebenbei als recht informative Zeitreise.

Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter ›Doctor Who‹, geschrieben und als Buchhändler gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ganz dem Schreiben. Er lebt nach wie vor in London. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm.

Christine Blum, geboren 1974 in Freiburg im Breisgau, studierte Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaften, Russische Literatur, Musikwissenschaft und kurze Zeit auch Medizin. Seit 2002 übersetzt sie aus dem Englischen und Russischen. Für dtv überträgt sie u. a. Ben Aaronovitch ins Deutsche.

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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
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