Isabel Morf: Katzenbach, Meßkrich 2012, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-1313-1, Softcover, 243 Seiten, Format: 19,8 x 12 x 1,6 cm, EUR 11,90 (D), EUR 12,30 (A).
„Man kriegt die Haare nicht vollständig weg. Luzia wird nie einen Mann finden, der sie liebt. Was ist denn das für ein Leben. Und was für ein unerträglicher Gedanke für eine Mutter!“ (Seite 97)
Als Luzia Attinger in einer Klinik in Zürich geboren wird, ist sie am ganzen Körper behaart wie eine Tierchen. Ambras-Syndrom nennt sich dieser seltene Gendefekt oder auch Hypertrichose. Heilbar ist das nicht.
Luzias Eltern, die Bankkauffrau Nadine und der Mathematiker Stefan, sind schockiert und ratlos. Wie sollen sie mit der Situation umgehen? Werden sie das entstellte Kind jemals lieben können? Was wird es für ein Leben haben, wenn es überall angestarrt, ausgelacht und ausgeschlossen wird? Von der Behaarung abgesehen ist es ja gesund, wird sich körperlich und geistig normal entwickeln und spüren, dass es ein Außenseiter ist.
Familie, Freunde und Bekannte reagieren entsetzt, ablehnend und/oder extrem unsensibel. Die Nachbarn glotzen das Kind an als seien sie in einer Freakshow, Nadines Freundin lehnt nun, da sie Luzia gesehen hat, nicht nur ihr Taufpatenamt ab, sondern will gar nichts mehr mit Attingers zu tun haben. Und Stefans Mutter Greta schlägt gar vor, dass die Familie das Kind ins Heim gibt, es schnellstmöglich vergisst und sich alsbald ein neues macht. Dass sie ihrer Schwiegertochter auch noch die Schuld an dem Gendefekt gibt, ist das Tüpfelchen auf dem i.
Von Luzias vierjähriger Schwester Charlotte kann man noch keine rücksichtsvolle Reaktion erwarten. Sie hält das Baby für ein Kätzchen und versucht sogar, ihm das Miauen beizubringen. Und sie plappert arglos das nach, was die Eltern ihrer Freundinnen sagen: „Wechselbalg“. Der einzige Mensch, der unbefangen mit Luzia umgeht, ist Nadines Bruder Leon. Doch auch er kann nicht verhindern, dass die Familie seiner Schwester aufgrund der Belastung in Depressionen, Sprachlosigkeit und Schuldgefühlen versinkt. Sogar die quirlige Lotte verstummt mit der Zeit. Was los ist, versteht sie zwar noch nicht, aber dass die Eltern nur noch geistesabwesend und traurig sind, bekommt sie natürlich mit.
Vier Monate lang geht das so, ohne dass eine Besserung in Sicht wäre. Und dann wird alles noch schlimmer: Nur für wenige Minuten lässt Nadine Attinger den Kinderwagen unbeaufsichtigt im Garten stehen, um etwas aus dem Haus zu holen. Als sie zurückkommt, ist Luzia verschwunden. Wenig später findet der Hund der Geschäftsfrau Valerie Gut das kleine Mädchen tot im Katzenbach treibend. Valerie ruft sofort die Polizei.
In einem Fall wie diesem betrachten Kriminalkommissar Beat Streiff und seine Kollegen natürlich als erstes das familiäre Umfeld des Opfers. Welchen Grund sollte auch ein völlig Fremder haben, ein Baby zu töten?
Irgendwie sind alle verdächtig: die labile Mutter, der überforderte Vater, die herrische Großmutter, auch Onkel Leon. Möglicherweise war’s aber auch die unerfahrene Mitarbeiterin der Kinderarztpraxis, Sibel Evren. Der Polizei gegenüber hat sie geäußert, dass es vielleicht gut sei, dass das kleine Mädchen haben sterben dürfen. Ihre Kollegin Raffaela Zweifel traut Sibel die Tat zu. Doch diese gehässige Giftnudel sagt das womöglich aus reiner Bosheit.
Oder hat Luzias Tod gar nichts mit der Familie zu tun? Als Täterin kommt auch die psychisch kranke Lieselotte Bär in Betracht, die aus einem krankhaften Kinderwunsch heraus schon einmal ein Baby entführt hat. Vielleicht hat sie das kleine Mädchen vor lauter Schreck im Katzenbach entsorgt, als sie festgestellt hat, dass es entstellt ist.
Beat Streiff und seine Mitarbeiterin Zita Elmer ermitteln in alle Richtungen. Keiner der Verdächtigen hat ein belastbares Alibi. Da macht die Spurensicherung eine überraschende Entdeckung …
Dieser beklemmende Kriminalfall ist über weite Strecken eher das Psychogramm einer Familie, der es nicht gelingt, mit einem Schicksalsschlag fertig zu werden. Statt einmal offen über die eigenen Gefühle zu sprechen, zieht sich jeder zurück, leidet still vor sich hin und tut nach außen hin so, als ob alles in Ordnung sei. Hilfsangebote lehnen Attingers vehement ab.
Man würde die Familie am liebsten an den Haaren zu einem Psychotherapeuten schleifen. Aber das bringt ja nichts, wenn die Betroffenen keine Hilfe wollen. Möglicherweise reagiert man einfach nicht mehr rational, wenn man monatelang in einem solchen Albtraum gefangen ist.
Die Lösung des Falles überrascht.
Ob die Familie wohl die Kurve kriegt und irgendwann wieder ein annähernd normales Leben führen kann? Man ertappt sich dabei, an ihrem Schicksal Anteil zu nehmen, als seien es real existierende Menschen und nicht nur Romanfiguren. Die Autorin hat sie schon sehr lebensnah geschildert. Vielleicht tauchen Attingers ja in einem der folgenden Romane als Nebenfiguren auf. Auch in diesem Band begegnet man ja Personen wieder, die in Beat Streiffs früheren Fällen eine Rolle gespielt haben. Ein kleiner Gruß an die Kenner der Romanreihe.
Leser, die die vorangegangenen Bände nicht gelesen haben, werden sich allerdings fragen, ob man alles, was einem hier über diverse Nebenfiguren erzählt wird, auch wirklich wissen muss. Müsste man nicht. Zum Beispiel ist für die Geschichte allein die Meinung der medizinischen Fachangestellten Sibel Evren wichtig. Der Werdegang ihres Lebensgefährten dagegen ist völlig irrelevant, auch wenn manche Leser den Mann aus früheren Romanen kennen mögen.
Und so, wie die Romanhelden hier ständig über alte Bekannte stolpern, sollte man glatt meinen, Zürich sei ein Dorf! Ausgerechnet die Lebenspartnerin des ermittelnden Kriminalbeamten findet das tote Kind. Sie kennt auch dessen Familie sowie die Angestellten des behandelnden Kinderarztes. Das ist schon ein bisschen „Figuren-Inzucht“, oder kann zumindest auf Serien-Quereinsteiger so wirken. Das ist nicht schlimm, aber es fällt auf.
Der Mordfall Luzia ist spannend und sehr bewegend. Isabel Morf beobachtet genau und schildert eindringlich und überzeugend, wie ein schlimmes Schicksal über eine ganz normale Familie hereinbricht.
Das Glossar, das den Deutschen und Österreichern spezifisch schweizerische Begriffe erklären soll, ist allerdings ein Witz. Es ist nicht hilfreich, einen Helvetismus mit einem anderen zu übersetzen. Es wäre generell sinnvoll, wenn Leser aus dem benachbarten deutschsprachigen Ausland die ihnen unbekannten Begriffe markieren und eine verständliche Übersetzung einfordern würden. Wenn der Autor das Glossar selber liefern muss, geht’s schief. Woher soll er denn wissen, was in den Nachbarländern verstanden wird und was nicht?
Und ob dieser gruselige Katzenaugen-Teddy auf dem Cover wohl die Plüschkatze sein soll, die Lotte dauernd mit sich herumschleppt? Besonders katzenhaft sieht das Tier ja nicht aus. Aber überaus beunruhigend …
Die Autorin
Isabel Morf, geboren 1957 in Graubünden, aufgewachsen in Glarus und im Aargau, lebt in Zürich und in Bern. Sie hat in Zürich und Wien Germanistik studiert und einige Jahre als freie Journalistin ihr Geld verdient. Heute arbeitet sie für das schweizerische Parlament in Bern.
Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
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Die Lösung des Falles überrascht überhaupt nicht! Ich konnte mir schon in der Mitte des Buches zusammenreimen, wer „der Täter“ ist. Das Buch habe ich trotzdem in einem Tag gelesen, weil mich das Thema interessierte (Körperbehaarung, Kleinfamilie und Stress mit KIndern etc.). Geschrieben ist der Krimi aber ziemlich schlecht. Eben: Helvetismen noch und noch. Und wenig Virtuosität. Man würde nicht meinen, dass die Autorin Germanistik studiert hat. Esrte Klasse ist ihr Schreibe keinesfalls. Schade.
Ich bin auf *diesen* Täter nicht gekommen, hatte alle anderen in Verdacht. Manchmal will man vielleicht auch die eigenen Ahnungen nicht wahr haben, weil diese Lösung des Falles so schrecklich wäre.