Eva Klingler: Badische Sünde. Kriminalroman

Eva Klingler: Badische Sünde. Kriminalroman, Meßkirch 2019, Gmeiner-Verlag, ISBN 978-3-8392-2497-7, Softcover, 280 Seiten, Format: 12 x 2,5 x 20 cm, Buch: EUR 13,00 (D), EUR 13,40 (A), Kindle: EUR 6,99.

Abb. (c) Gmeiner Verlag

„Schrecklich“, sagte Marlies Schätzle. „In so was reingezogen zu werden. Ganz schrecklich. Und wie ging das aus? Hoffentlich gut?“ – Ich sah sie nachsichtig an. „Frau Schätzle, eine Mordsache kann niemals gut ausgehen. Denn wir haben ja mindestens einen Toten und einen Mörder.“ (Seite 171)

Karlsruhe-Rüppur, Sonnenstift, 2018: Viktoria Hermann, Jahrgang 1941, ist überrascht, als sie Besuch von zwei Frauen aus einem Dorf im Schwarzwald bekommt. Sie hat noch nie von Marlies Schätzle und ihrer Tochter Esther gehört. Erst als Marlies sich auf ihre Tante, Marianne Reichert, beruft, die verfügt hat, dass Esther sich an ihrem 21. Geburtstag bei ihr melden solle, fällt der Groschen.

Ein Besuch weckt Erinnerungen

Nun hätte Viktoria der jungen Esther einfach das aushändigen können, was sie vor Jahrzehnten mit Marianne vereinbart hat und es dabei bewenden lassen. Aber die zwei Schätzles sind so piefig, selbstgerecht und ahnungslos, dass sie nicht widerstehen kann, ihnen die Wahrheit über ihre schillernde Verwandte zu erzählen – und über die dramatischen und skandalösen Umstände, unter denen sie in den 50er-Jahren ihre Bekanntschaft gemacht hat.

Schon in jungen Jahren hatte Marianne Reichert, Jahrgang 1912, ihr Heimatdorf verlassen und es in der Stadt zu Wohlstand gebracht. Sie besaß mehrere Lokale. Na ja, reden wir nicht drum herum: Sie war eine Puffmutter. Keine Ahnung, wie sie bei ihren seltenen Besuchen daheim ihrer Verwandtschaft erklärt hat, woher das viele Geld für die teuren Klamotten und das noble Auto stammt. Aber vielleicht haben ihre Angehörigen das auch gar nicht hinterfragt, sondern angenommen, das sei in der Stadt normal.

Karlsruhe-Rüppur, 1959: Viktoria Hermann ist ein anständiges Mädchen und hätte normalerweise gar keine Berührungspunkte mit Marianne Reichert und ihren Mädchen gehabt. Doch als ihre Eltern das Dachgeschoss an die Kindergärtnerin Renate Bandusch (26) vermieten, nimmt die Geschichte ihren Lauf. Renate entpuppt sich zum Entsetzen der biederen Hermanns, als kecke, moderne Singlefrau, die sich mit Männern in der Kneipe trifft. Sogar mit Amerikanern! Da hat man zu der Zeit den Ruf eines Flittchens weg.

Hermanns und die kecke Mieterin

Mutter Hermann fürchtet, dass Renates zweifelhafter Ruf auf ihre Familie abfärbt und dass sie den fast erwachsenen Hermann-Kinder Peter und Viktoria Flausen in den Kopf setzen könnte. Junge Männer wie der Maschinenbau-Student Peter sind sowieso leicht zu beeindrucken, und Viktoria, eine unterforderte Bürokraft bei der Stadtverwaltung, hat auch ohne Renates Zutun schon genügend rebellische Ideen. Sie will immerzu lesen und lernen und träumt von einer Karriere als Kriminalkommissarin statt sich nach einem geeigneten Ehemann umzusehen.

Als Viktoria den Kriminalassistenten Paul ihrer Familie vorstellt, wähnt diese sich schon am Ziel. Juhu, ein Schwiegersohn! Doch Viktoria findet Pauls Beruf interessanter als ihn selbst. Immer wieder schafft sie es, ihm kleine Informationshäppchen zu entlocken, zum Beispiel über den Mordfall Vera S., der sich vor kurzem in Karlsruhe ereignet hat. Vera wurde in ihrer Wohnung tot aufgefunden – erdrosselt mit einem Herrenschal.

Als Mutter Hermann endlich einen Vorwand findet, Renate Bandusch fristlos das Mietverhältnis zu kündigen, ist sie erleichtert. Sie ahnt ja nicht, dass ihr Sohn und ihre Tochter weiterhin Kontakt zur ehemaligen Mieterin halten! Diese moderne junge Frau hat, bildlich gesprochen, ein Fenster aufgestoßen, den bürgerlichen Mief hinausgelassen und den Kindern ihrer Vermieter gezeigt, dass das Leben mehr bereithält als nur Arbeit, Putzen, Kirchgang und Familie.

Wer tötete Vera S. und Renate B.?

Seit ihrem Rauswurf bei Hermanns arbeitet Renate nicht mehr als Kindergärtnerin, sondern als Animierdame in Marianne Reicherts Tahiti-Bar. Und beim Verkauf von Getränken bleibt es nicht. Die wilde Renate führt ein Leben auf der Überholspur. Für Geld macht sie buchstäblich alles.

Bei ihrem letzten Zusammentreffen spürt Viktoria, dass Renate vor jemandem Angst hat. Sie will keinen Namen nennen und zeichnet nur stumm den Buchstaben M. Wenig später ist Renate tot – erdrosselt mit einem Schal. Spuren gibt’s so gut wie keine, weil eine übereifrige Ersthelferin alle verwischt hat. Auf einmal ist Viktoria näher am Ermittlungsgeschehen als ihr lieb ist. Als Freundin der Ermordeten wird sie von der Polizei befragt. Und wie sich herausstellt, hat ihr Bruder Peter für die Tatzeit kein Alibi.

Mit ihren begrenzten Mitteln ermittelt Viktoria nun auf eigene Faust. Als die Spuren der Mordfälle Vera S. und Renate B. in Marianne Reicherts Etablissements führt, wird ihr klar, dass sie nur dann etwas erfährt, wenn sie sich ins Epizentrum des Geschehens begibt. Außenstehenden bleibt diese Welt verschlossen …

Die 50er-Jahre aus heutiger Sicht

Ich habe ja gewisse Vorbehalte, was Romane angeht, die auf verschiedenen Zeitebenen spielen. Für diesen feministisch angehauchten Regionalkrimi ist die Erzählform aber perfekt. Wenn Viktoria von den vielfältigen Einschränkungen berichtet, denen Frauen damals unterworfen waren, tut sie das mit dem Wissen von heute. Vieles, was ihr als Teenager schon sauer aufgestoßen ist, ist aus heutiger Sicht ein absolutes Unding, genau wie die markigen Sprüche ihrer Eltern. All diese Prüderie und die einseitige Fixierung darauf, junge Mädchen schnellstmöglich in den Zustand einer gut verheirateten Hausfrau und Mutter zu überführen und ja keine anderen Lebensziele zuzulassen! Wenn Viktoria von den 50er Jahren erzählt, fällt Esther, die jetzt so ungefähr im selben Alter ist, meist nur eines ein: „Krass!“ Womit sie gar nicht so Unrecht hat.

Löst Amateurermittlerin Viktoria Hermann nun die zwei Mordfälle oder trägt sie wenigstens dazu bei, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird? Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Ist das, was man vor 50 Jahren versäumt hat, heute überhaupt noch korrigierbar?

Eine böse Geschichte

Alles in allem ist BADISCHE SÜNDE eine böse Geschichte. Man fragt sich, ob es richtig war, dass Viktoria ihren Besucherinnen alles erzählt hat. Gut, sie hat sich dabei amüsiert. Die spießige Marlies ist jetzt um eine Illusion ärmer und um eine Wahnsinnsgeschichte reicher, die sie daheim nur niemandem erzählen kann. Dafür hat Tochter Esther jetzt ein paar gefährliche Träume mehr.

Nach dieser spannenden Zeitreise in die jüngere Vergangenheit kann man den Frauenrechtlerinnen nicht genug danken. Es gibt zwar noch einiges zu tun, aber wir sind auch schon ganz schön weit gekommen.

An diesem packenden Krimi haben mich nur ein paar Kleinigkeiten gestört: Die Erklärung für das M, das die verängstige Renate zeichnet, ist ein bisschen billig. Und wenn im Lektorat niemand die Textstellen findet, die einander widersprechen, ist das schade. (Woher stammt Marianne? Schwarzwald oder Niederbayern?)

Trotzdem hat mir die kritische, unangepasste Viktoria als Ermittlerin sehr gut gefallen – eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Was mich jetzt noch interessiert hätte: Ist sie denn irgendwann Kommissarin geworden? Das war ja irgendwann möglich. Im Buch wird es nicht erwähnt. Wenn ja, könnte sie uns nämlich von weiteren spannenden Kriminalfällen aus anderen Jahrzehnten berichten. Zuhörer*innen, die die gegenwärtige Zeitebene rechtfertigen, würden sich bestimmt finden.

Die Autorin

Eva Klingler wurde im oberhessischen Gießen geboren. Ihre Jugend und die Studienjahre verbrachte sie in Mannheim, bevor sie nach Baden-Baden zog, um ein Volontariat beim Südwestrundfunk zu absolvieren. Nach einigen Jahren entschloss sie sich, selbstständig zu arbeiten und wirkte als Dozentin, Autorin und freie Journalistin in den Redaktionen in Baden-Baden und Bretten. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Bibliotheksleiterin in Rheinstetten wurde sie endgültig als Freie Autorin sesshaft. Ihre Bücher spielen meistens in Baden und im Elsass. Mit Mann und Hund lebt Eva Klingler nun in einem grünen Stadtviertel von Karlsruhe und betreibt die von ihr gegründete Wohltätigkeitsorganisation „20 Stühle“.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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