Alfred Bodenheimer: Der Messias kommt nicht. Rabbi Kleins dritter Fall, Kriminalroman, München 2016, Nagel & Kimche im Hanser Verlag, ISBN 978-3-312-00686-1, Hardcover mit Schutzumschlag, 203 Seiten, Format: 13,5 x 2,2 x 21 cm, Buch: EUR 19,90, Kindle Edition: EUR 15,99.
„Schau dir das nochmals an“, sagte sie und klickte eine andere, zuvor geöffnete Seite an: der Videoclip des alten israelischen Philosophen mit der schwarzen Kippa. Sie zog den Stecker des Kopfhörers, so dass er es auch hören konnte: „Jeder Messias, der kommt, ist ein falscher Messias“, ertönte die schleppende Stimme des alten Mannes.
„Verstehst du?“, fragte Rivka und schaute ihn an. (Seite 168)
Da schliddert er ja wieder in eine böse Geschichte hinein, der Zürcher Rabbi Gabriel Klein! Obwohl der Historiker vor Jahr und Tag seine Universitätslaufbahn aufgegeben hat, um Rabbiner zu werden, lässt er sich nur zu gerne von Professor Henri Blatt von der Universität Basel dazu überreden, wieder einmal wissenschaftlich zu arbeiten.
Rabi Klein nimmt ein Sabbatical
Klein reizt die Übersetzung und Edition eines Textes aus dem 16. Jahrhundert – ein fiktives Streitgespräch zwischen einem Christen und einem Juden, verfasst vom Hebraisten Sebastian Münster. Die Finanzierung des Projekts scheint gesichert, und so ersucht er bei seiner Gemeinde um ein sechsmonatiges Sabbatical, um für Henri Blatt an dem Text arbeiten zu können.
Klein freut sich auf die Herausforderung und darauf, dem Alltagstrott, dem Gemeindetratsch und den kindischen Zickereien des Vorstands eine Weile zu entkommen. Rivka, seine pragmatische und praktisch veranlagte Ehefrau, ist skeptisch. Und sie soll wieder einmal Recht behalten. Professor Blatt erweist sich als egomaner A…, äh, Akademiker, der sich kaum mehr an seine Vereinbarung mit dem Rabbi zu erinnern scheint. Eilig quetscht man für ihn einen Schreibtisch in das winzige Büro des „ewigen Projektmitarbeiters“ Lucian Schwaller. Dieser macht seinem Nachnamen alle Ehre und quasselt dem Rabbi ständig die Ohren voll. Das macht konzentriertes Denken nicht gerade leicht. Trotzdem arbeitet Gabriel Klein zunächst sehr engagiert an dem fiktiven Streitgespräch über den Messias.
Wie das Leben so spielt, erkrankt gerade jetzt der Basler Rabbiner Bezalel Sommer und bittet Klein, für ihn einzuspringen und eine größere Veranstaltung zu leiten: einen Gemeindeschabbat in einem Tagungshaus außerhalb der Stadt.
Mord beim Gemeindeschabbat
Was den Basler Rabbi umgehauen hat? Die ständigen Querelen mit dem Vorstand und der Gemeinde. Das alles hat jetzt Rabbi Klein am Hals. Rivka findet, dass ihr Mann sich aus fremden Gemeindeangelegenheiten unbedingt heraushalten sollte: „Die Leute sind in Basel so meschugge wie in Zürich. Aber hier wirst du wenigstens bezahlt, um die Meschuggenen auszuhalten, dort nicht. Die sollen warten, bis der Kollege Sommer wieder auf zwei Beinen steht.“ (Seite 57) Natürlich warten sie nicht. Der Gemeindeschabbat findet statt – und Freitag Nacht ein Mord. Zwei Schüsse fallen und der Wirtschaftsanwalt Stéphane Hutmacher liegt tot auf einem Feldweg unweit des Tagungshauses.
Den Polizeibeamten, der die Ermittlungen leitet, kennt Rabbi Klein noch aus dessen Zeit in Zürich: Kommissar Enver Drulovic. Anders als dessen frühere Chefin Karin Bänziger, die sich Rabbi Kleins Einmischungen verbeten hat, bittet Drulovic den Rabbiner ausdrücklich um Hilfe. Klein soll sich ein bisschen bei den Gemeindemitgliedern umhören. Ganz wohl fühlt sich der Rabbi bei der Sache nicht. Aber wenn’s der Aufklärung des Falles dient …?
Der Ermordete war kein besonders umgänglicher Mensch und hat sich privat und beruflich einige Feinde gemacht. War’s also der Kantor, mit dem Hutmacher im Dauerstreit lag? Jemand, der sich beruflich übervorteilt fühlte? Neonazis? Eine Beziehungstat?
Der Rabbi fragt die Leute aus
Rabbi Klein fragt so diskret wie möglich die Leute aus. Seine Arbeit an dem Messias-Text gerät dabei mehr und mehr ins Hintertreffen.
Am Ende ist es Rivka, die den Fall aus der richtigen Perspektive betrachtet. Motiv und Täter kommen dann eher beiläufig ans Licht, auch wenn der Leser recht früh vermutet, dass in dieser Ecke eine üble Schweinerei vertuscht worden ist.
In diesem Krimi gibt’s keine wilde Action, hier begleitet der Leser die Gedankengänge eines klugen und gebildeten Mannes. Rabbi Klein hat nie die Absicht, in Kriminalfälle verwickelt zu werden, es passiert einfach. Offene Fragen und ungelöste Probleme lassen ihm keine Ruhe, und so grübelt er ohne Unterlass über Theologisches und allzu Menschliches, über Familiäres und über Gemeindebelange. Und wie in den vorangegangenen beiden Krimis bringt ihn auch hier ein Gedanke aus einem ganz anderen Lebensbereich auf die Lösung des Falles.
Bei seinen Ermittlungen sitzt ihm ständig die Angst im Nacken, er könne die Situation durch sein Eingreifen noch verschlimmern – was ihm in der Vergangenheit durchaus schon gelungen ist. Wahrheit gefunden, Katastrophe perfekt.
Pragmatische Ehefrau, bissiger Vater
Meine heimliche Heldin ist die bodenständige Rivka Klein. Da kann ihr Mann noch so intelligent und „studiert“ sein: Wenn er nicht mehr weiter weiß, fragt er seine Frau. Und die fackelt nicht lange und äußert prompt und unverblümt ihre Meinung. Amüsant wird’s, wenn dann auch noch der verstorbene Vater des Rabbiners zitiert wird. Dieser „verbesserliche Optimist“ muss wirklich für jede Lebenslage einen bissigen Spruch auf Lager gehabt haben: „Wenn du dich in Teufels Küche begibst, dann schau wenigstens, dass du sie als Chefkoch verlässt und nicht als Hackbraten.“ (Seite 90) darf Klein sich in diesem Fall anhören. Und es gibt schon ein paar Momente in der Geschichte, in denen er dem Hackbraten verflixt nahe kommt.
Man kann gut beim dritten Rabbi-Klein-Band in die Reihe einsteigen (und die anderen zwei dann später lesen). Was man fürs Verständnis wissen muss, wird kurz erklärt. Wie sich hier ein Leser zurechtfindet, der vom Judentum gar keine Ahnung hat, vermag ich allerdings nicht zu beurteilen. Ein zweiseitiges Glossar erläutert zwar die wichtigsten Begriffe, aber eine gewisse Grundaffinität zu dem Thema wäre schon nicht schlecht.
In Basel muss man sich nicht zwingend auskennen, um der Geschichte folgen zu können. Wer anhand der Straßennamen vor Augen, hat, wo genau Gabriel Klein gerade unterwegs ist (und wieder mal in die falsche Straßenbahn steigt), der hat natürlich eine Heimvorteil. Besonders gut kommen die Stadt und ihre Einwohner allerdings nicht weg. Ich glaub’, als Basler wäre ich jetzt trotz der faszinierenden Charaktere und der ungewöhnlichen Ereignisse, die der Autor hier schildert, ein bisschen beleidigt …
Der Autor
Alfred Bodenheimer, geboren 1965 in Basel, erhielt eine traditionelle jüdische Ausbildung und leitete Talmudhochschulen in Israel und den USA. In Basel studierte er Germanistik und Geschichte und promovierte 1993 mit einer Arbeit über die Emigration von Else Lasker-Schüler nach Palästina. Nach Forschungs- und Lehrtätigkeiten in Israel und an der Universität Luzern und einer Habilitation an der Universität Genf kam er 2003 als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an die Universität Basel zurück. Er veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Publikationen.
Rezensent: Edith Nebel
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