Heike Sonn: Mit Lampenfieber und Musik. Roman

Heike Sonn: Mit Lampenfieber und Musik. Roman, Düsseldorf 2020, Edition Oberkassel, ISBN 978-3-95813-204-7, Softcover, 366 Seiten, Format: 12 x 3,2 x 19 cm, Buch: EUR 13,00 (D), EUR 13,40 (A), Kindle: EUR 7,99.

Abb.: (c) Edition Oberkassel

So, Schluss jetzt! Genug nach anderer Leute Pfeife getanzt! Die Bremerin Tessa Stahlendorff, 28, Arztsekretärin und Gelegenheitsautorin, will ihr Leben endlich selbst in die Hand nehmen. Das ist gar nicht so einfach, wenn man direkt aus der Schreckensherrschaft einer kontrollierenden und übergriffigen Mutter in die Ehe mit einem Mann gestolpert ist, der kein Haar besser ist. Ob Mann und Mutter eine narzisstische Persönlichkeitsstörung haben oder nur handelsübliche Ar***l*cher sind, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall haben sie es geschafft, Tessa den letzten Rest Selbstvertrauen auszutreiben.

Tessa startet neu durch

Jetzt ist der Gatte Geschichte und die Mutter lebt auf Mallorca. Tessa hat ihr Elternhaus in Bremen für sich. Endlich kann sie sich den Traum erfüllen, eine Ausbildung zur Erzieherin zu machen, auch wenn es finanziell eng für sie wird. Auf Unterhalt vom Ex verzichtet sie. Nie wieder will sie von jemandem abhängig werden, nie mehr Opfer sein und ein Kerl kommt gleich gar nicht mehr ins Haus! 

Die erste mutige Tat der „neuen“ Tessa wirbelt ihr Leben gründlich durcheinander: In einem Kaufhaus rettet sie den jungen Musiker Ben und dessen Bruder vor einer Meute hysterischer Fans. Vom Fleck weg engagiert der Sänger sie als Ersatz für die schwer erkrankte Haushälterin/Kinderfrau seiner Großfamilie. Tessa ist sonst nicht so spontan, aber Ben und der quirlige Andy quatschen sie derart schwindelig, dass ihre Tasche packt und mit nach Berlin fährt.

Nur grob ahnt Tessa, was auf sie zukommt. Die Familie, die sie zu versorgen hat, ist so eine Art schwedische Kelly-Family, nur gepflegter. 😉  Neun Geschwister im Alter von 10 bis 24, nebst Partner, eigenen Kindern und sonstigem Anhang leben unter einem Dach. Während ihrer Ehe hatte Tessa selbst Personal – so einen großen Haushalt zu führen, überfordert sie. Das wird der Chefin der Truppe, Inga Fetenhall, ziemlich schnell klar. Sie würde Tessa am liebsten gleich wieder feuern, aber Ben und Andy stellen sich quer.

Neun Kinder – viele Probleme

Die Eltern der musikalischen Geschwistertruppe sind jung gestorben, was natürlich an den Kindern nicht spurlos vorbeigegangen ist. Ein paar der Geschwister haben massive Probleme – nicht nur die 13jährige Sarah, die seit dem Tod ihres Vaters kein Wort mehr spricht. Niemand macht sich die Mühe, Tessa eine „Gebrauchsanweisung“ für die hauseigenen Problemfälle an die Hand zu geben. So tritt sie von einem Fettnapf in den nächsten und packt jedes Mal panisch ihre Sachen, wenn’s wieder Ärger gibt. Doch kehrt stets an ihren Arbeitsplatz zurück oder lässt sich zum Bleiben überreden. In ihrem Haus in Bremen wartet ja auch niemand auf sie – außer der aufdringlichen Nachbarin, die fortwährend im Auftrag von Tessas Mutter spioniert.

Der Trubel im Haus Fetenhall hat auch seine heiteren und liebevollen Seiten. Es wird gelacht und geblödelt, musiziert, gespielt, gekocht und gefeiert. So hätte Tessa sich ihr eigenes Familienleben gewünscht, aber sie hat leider ganz andere Erfahrungen gemacht. 

Bald hat sie den Haushalt im Griff und alle verlassen sich blind auf sie. Sogar die strenge Inga und die stumme Sarah tauen ein bisschen auf. 

Vom Mäuschen zur Löwin

Mehr und mehr betrachtet Tessa ihre Arbeitgeber als ihre Familie. Und siehe da: Wenn es darum geht, die Musiker gegen penetrante Journalisten zu verteidigen, wird das Mäuschen zur Löwenmutter! Mit der Zeit eignet sich Tessa ein paar ganz schön fiese Tricks an. Sie weist sogar ihre Mutter in die Schranken, die unangemeldet bei ihr am Arbeitsplatz auftaucht und tatsächlich verlangt, dort beherbergt zu werden. Erstaunt stellt Tessa fest, dass die Welt nicht untergeht, wenn sie sich einmal weigert, den Erwartungen anderer zu entsprechen. Keine Frage: Die Frau ist lernfähig! Sie lässt sich sogar trotz schrecklichem Lampenfieber als Backgroundsängerin einspannen, als bei einem Konzert Not an der Frau ist.

Doch auch, wenn es sich so anfühlen mag: Sie ist keines der Fetenhall-Geschwister. Irgendwann kommen Emotionen ins Spiel, die nicht zu unterdrücken sind und die Stimmung kippt. Liebe, Eifersucht, Missverständnisse, alte Verletzungen, Frustration … das ganze Programm. Bricht jetzt der Clan auseinander? Was wird dann aus der Musikgruppe? Wenn hier einzelne Familienmitglieder eigene Wege gehen, hat das ja automatisch Auswirkungen auf die Zusammenarbeit und auf die berufliche Existenz. 

War’s das jetzt mit Tessas Traumjob mit Familienanschluss? Schlimm sind diese Entwicklungen auch für die traumatisierte Sarah. Dabei war sie auf einem so guten Weg!

Um aus diesem Gefühlsschlamassel wieder herauszukommen, müssten ein paar Leute hier mal ganz offen miteinander reden. Aber das scheint nicht gerade zu den Kernkompetenzen der Familie Fetenhall zu gehören …

Platzverweis für Nervensägen

Es ist amüsant zu sehen, wie die verhuschte Tessa nach und nach an Stärke und Selbstbewusstsein gewinnt und die Energieräuber und Nervensägen in ihrem Leben auf ihre Plätze verweist. Irgendwann hat sie so viel dazugelernt, dass sie das Mantra, an das sie sich bislang verzweifelt geklammert hat, gar nicht mehr braucht. Die Verletzungen sind verheilt, die „Krücken“ sind überflüssig geworden. Sie könnte es lockerer angehen lassen. Nur merkt sie das gar nicht. Ja, Selbsterkenntnis und Kommunikation, das haut beim Homo sapiens manchmal nicht so richtig hin – und das gibt für Romanleser*innen die interessantesten Verwicklungen. 

Manchmal möchte man die eine oder andere Person schütteln und sie auf den richtigen Weg schubsen: „Komm, jetzt lass dich nicht so hängen! Sag doch mal, frag doch mal, mach doch mal!“ Man lebt und leidet richtig mit – vor allem bei den Mutter-Tochter-Diskussionen und den Bühnenszenen mit dem titelgebenden Lampenfieber. 

Immer neue Überraschungen

Natürlich ahnt man von Anfang an, worauf die Geschichte hinausläuft, aber das ist genretypisch. Der Weg zum Ziel birgt immer neue Überraschungen, und das ist sehr unterhaltsam. 

Ich hätte dem Buch eine professionellere Covergestaltung gegönnt. Dieses hier wirkt ein bisschen selbstgestrickt und wird dem Inhalt nicht gerecht.

Die Autorin

Heike Sonn, geboren 1963, schreibt meist zuhause in Bremen, wo sie mit ihrem Mann lebt. Beim Walken und Radfahren, überhaupt in der Stille der Natur, kommen ihr die besten Ideen. Außer Erzählungen und Kurzgeschichten verfasst sie Texte für Fachmagazine und schätzt bei Lesungen den direkten Kontakt zu Leser*innen.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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