Lisa Graf-Riemann: Die zweite Geige. Ein Bad-Reichenhall-Krimi, Wals bei Salzburg, Österreich, 2022, Servus / Red Bull Media House GmbH, ISBN 978-3 7104-0301-9, Klappenbroschur mit Lageplan, 286 Seiten, Format: 13,3 x 2,5 x 20,2 cm, Buch: EUR 14,00, Kindle: EUR 9,99.
Bad Reichenhall 2020: Im Gegensatz zum ersten Band (KURSCHATTEN-AFFÄRE) ist dieses Mal nicht Alexander „Sascha“ Maiensäss (37) in ernsthaften Schwierigkeiten, sondern Menschen aus seinem Umfeld. Weil er aber neugierig ist und schon einmal einen Kriminalfall aufgeklärt hat, kann er sich nicht heraushalten sondern „ermittelt“ in Eigenregie. Gern mit Hilfe seiner Großtante Paulina, mit der zusammen er die Villa Palmira bewohnt, mit Lokalreporterin Daniela Keck und mit seiner Freundin Mira Schimmel, die allerdings in Berlin lebt und nur zeitweise vor Ort ist.
Sascha wird seriös
Sascha, der mehr als zehn Jahre seines Lebens mit einer Sportlerkarriere, einem abgebrochenen Medizinstudium und diversen merkwürdigen Jobs verdaddelt hat, ist dabei, endlich seriös zu werden. Nun ist er kein Hochstapler mehr, sondern studiert wieder und absolviert gerade ein viermonatiges Praktikum im Kreiskrankenhaus Bad Reichenhall. Hier versucht er nach Kräften, die attraktive Gefäßchirurgin Dr. Eva Doppler zu beeindrucken. Tricksen, täuschen, Eindruck schinden, das kann er! Und so hat er bald bei ihr einen Stein im Brett.
Als Pest am Ar*** erweist sich hingegen Clemens Wolny von der Krankenhausverwaltung. Sascha kennt ihn schon seit der Grundschule und ist genervt von seinen taktlos-gehässigen Bemerkungen. Ja, der Herr Maiensäss hat ein paar berufliche Umwege genommen. Ja, seine Eltern waren nicht verheiratet und er ist mehr oder weniger bei seiner Großtante aufgewachsen. Und ja, sein Großvater war der uneheliche Sohn einer Einheimischen und eines russischen Kurgasts. Ja, und? Geht das den Wolny was an? Rennt Sascha vielleicht durch die Gegend und trötet überall rum, dass Clemens Wolny schwul ist? Nein. – Also!
Mobber und Nervensägen
Auch Frau Dr. Doppler ist auf diesen Verwaltungsangestellten nicht gut zu sprechen. Er nervt sie hartnäckig wegen eines Dokuments, dessen Original sie nicht mehr hat. Die Kopie, die sie ihm gegeben hat, genügt ihm nicht. Das ist alles wahnsinnig lästig, genau wie die Tatsache, dass plötzlich jeder zu Elvira Bach pilgert, einer örtlichen Heilpraktikerin. Was haben vernünftige, kritisch denkende Menschen auf einmal mit diesem unwissenschaftlichen Zuckerkügelchen-Mumpitz am Hut? Die Mediziner wurmt das.
Zu Frau Bachs Patientinnen gehört auch die „erste Geige“ der Bad Reichenhaller Philharmonie, Elina Albig. Sie leidet unter den Nachstellungen eines Kollegen und darunter, dass ihr Lebensgefährte Anatol, die „zweite Geige“, im Orchester massiv gemobbt wird. Das belastet ihre Beziehung, denn Anatol gibt mehr und mehr ihr die Schuld an den Gemeinheiten der Kolleg:innen.
Eine Geigerin verschwindet
Auf einmal ist Elina verschwunden. Sascha kennt die Musikerin zwar nur flüchtig, sein Interesse an dem Fall ist dennoch groß. Ist Anatol ausgerastet und hat ihr etwas angetan? Oder war’s der stalkende Kollege?
In der Villa Palmiera formiert sich das erprobte Privatschnüfflerteam: Sascha, Paulina, Daniela und Mira. Niemand nimmt sie und ihre Ermittlungen wirklich ernst, doch sie kriegen immerhin raus, dass Anatol einen wichtigen Brief an Elina geklaut oder unterschlagen hat und dass die Heilpraktikerin mehr über Elina weiß, als sie sagen will. Warum sich die junge Geigerin kurz vor ihrem Verschwinden Notizen über eine Kampfsportart gemacht hat, daran arbeiten sie noch.
Mord im Hotel
Die Musikerin wird noch immer vermisst, da kommt schon der nächste Hammer: In einem Vier-Sterne-Hotel wird ein Mann gefunden, ans Bett gefesselt und mit einem Kissen erstickt. Und diesen Toten haben sie alle gekannt!
Seltsamerweise verfügt die Heilpraktikerin Elvira Bach auch hier über fallrelevante Informationen. Nur stellt ihr niemand die richtigen Fragen …
Die war’s nicht!
Gut: Für erfahrene Krimileser:innen ist das nicht so furchtbar spannend. Bevor’s überhaupt zu dem Mord kommt, wird schon eine Person als Verdächtige aufgebaut. Man denkt jedoch: Die war’s nicht! Das wäre viel zu offensichtlich. Und irgendwie hat man im Verlauf der Geschichte auch Verständnis für sie entwickelt. Ja, klar, sie hat was Kriminelles getan. Doch statt sie zu verdammen, kommt man ins Grübeln: Stimmt vielleicht an dem ganzen System was nicht?
Falls die Hauptverdächtige den Mord wirklich nicht begangen haben sollte, wer war es dann? Und was ist mit der Geigerin passiert?
Hoch- und Tiefstapler
Über das „Outing“ der Homöopathin Bach habe ich laut gelacht. Herrlich! Ja, im medizinischen Bereich läuft wohl so manches quer!
Wie hier die Hoch- und Tiefstapler die Szenerie beherrschen, das hat für mich den Reiz des Krimis ausgemacht. Und dass Sascha, der ja über genügend einschlägige Erfahrung verfügt, auf jeden Bullsh*t reinfällt, war noch das Tüpfelchen auf dem i! Es ist wirklich besser, wenn er Sportarzt wird. Zu einer richtigen Ganovenkarriere hätt’s wohl doch nicht gereicht. 😀
Ich bin nach wie vor kein großer Fan seiner Freundin Mira Schimmel. Ich teile ihre politischen Ansichten, doch das war’s dann auch. Aber ich mag Sascha und seine kratzbürstige Großtante, mit der er sich immer wieder amüsante Wortgefechte liefert. Und mir imponiert sein Eifer in Sachen Ahnenforschung. Vielleicht kann ja Katharina Sokolova aus Sankt Petersburg, die ihm Briefe seiner Urgroßeltern zugänglich machen will, ein wenig Licht in die Vergangenheit bringen. Das erfahren wir aber frühestens in Band 3, den es hoffentlich geben wird. Da hätte ich aber gern wieder einen großen Kriminalfall für die Villa-Palmira-Spürnasen. Das bringt meines Erachtens mehr Spannung als mehrere voneinander unabhängige Handlungsstränge.
Die Autorin
Lisa Graf-Riemann lebt als freie Autorin in Berchtesgaden in der Nähe von Salzburg. Trotz Ballistik- und Waffenkunde beim LKA München, sind ihr Schusswaffen bis heute unheimlich. Ihre Karriere als Polizeidolmetscherin endete mit der Erkenntnis, dass es mehr Spaß macht, Verbrechen in Büchern zu planen, als in der rauen Wirklichkeit mit ihnen konfrontiert zu sein.
Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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