Viola Eigenbrodt: Lügen, Schuld und Lederhosen. Ein Krimi aus Südtirol, Leonberg 2023, independently published, ISBN 979-8-39011888-7, Softcover, 223 Seiten, Format: 12,7 x 1,45 x 20,32 cm, Buch: EUR 12,85, Kindle: EUR 2,99.
Ein abgetrennter Finger und eine Leiche
Wenn der Bozener Michele Fornara geahnt hätte, was alles auf ihn zukommt, wäre er an jenem verregneten Novembertag sicher nicht ausgerechnet in den Talferwiesen mit seiner Dackeldame Gassi gegangen! Aber sowas weiß man eben nicht vorher. Und so hat er sich nicht nur im Matsch ein Paar gute Schuhe ruiniert, sondern sich auch noch Ärger mit der Polizei eingehandelt. Und das alles, weil seine Hündin den abgetrennten Ringfinger eines Mannes aus dem Dreck gebuddelt hat!
Die zu dem Finger gehörende Leiche wird wenig später auf einem Wanderweg südlich von Meran gefunden. Jemand hat dem Mann die Kehle durchgeschnitten. Zuständig für die Ermittlungen ist jetzt die Kripo in Meran.
Kenner dieser Krimi-Reihe werden in diesem Band auf neue Gesichter treffen: Polizeichef Pixner ist im Ruhestand, sein Nachfolger Matthias Ohnewein für längere Zeit krankgeschrieben. Die Vertretung übernimmt Thomas Prinoth aus Bozen. Der wirkt ein bisschen kauzig und so, als hätte er zu viele Columbo-Krimis im Fernsehen gesehen. Aber seinen Job versteht er.
Bei der Polizei dreht sich das Personalkarussell
Ebenfalls neu ist Kommissarin Isabel Grüner aus Brixen: attraktiv, modemutig und manchmal erstaunlich derb im Auftreten. Eine Frau mit Geheimnissen, wie sich noch zeigen wird. Und weil derzeit niemand da ist, der die internen Abläufe wirklich gut kennt, läuft Sekretärin Ursel, die bislang geräuschlos und bescheiden ihren Dienst versehen hat, zu ungeahnter Form auf. Man könnte glatt meinen, sie sei jetzt die Chefin hier!
Manches ändert sich aber nie: Bevor die Kripo überhaupt Maßnahmen zur Identifizierung des Toten einleiten kann, hat Carabiniera Patti Mayrhofer ihn schon auf einem Foto erkannt. Durch ihre Familie ist Patti mit allem auf Du und Du, was Rang und Namen hat. Bei dem Ermordeten handelt es sich um den Politiker Robert Silla. Seine Frau Silvia besitzt ein Fachgeschäft für Trachtenmode, bei dem Patti und ihre Mutter gute Kundinnen sind.
Bei den Meraner Carabinieri gibt’s keine neuen Gesichter. Allerdings ist der Chef, Maresciallo Franco Marini, in Urlaub, Brigadiere Carmine Lasso auf Fortbildung in Rom – und „Polizeikatze“ Molly ist empört aus „ihrem“ Revier ausgezogen, weil da jetzt zeitweise der Dackel von Polizeichef Ohnewein wohnt. Na, wo soll der Hund denn auch hin, wenn sein Herrchen in der Reha ist?
Viele Motive, wenig Kooperation
Neue Kollegen, fehlendes Personal und dazu das ewige Theater mit dem Dackel – kein Wunder laufen die Ermittlungen in diesem Fall nicht ganz rund! Es ist aber auch schwierig: Robert Silla lebte in Scheidung und auch mit seiner Herkunftsfamilie hat er Probleme gehabt. Ist er also Opfer familiärer Streitigkeiten geworden? Oder war er in zweifelhafte Geschäfte verwickelt? Irgendwas mit Drogen vielleicht? Auch ein politisches Motiv ist nicht auszuschließen.
Appuntato Toni Scarpone von den Carabinieri hat noch eine ganz andere Theorie und lässt sich zu einem gefährlichen Alleingang hinreißen. Und wie immer, wenn ein Prominenter Opfer eines Verbrechens geworden ist, sitzt der Polizei die Presse im Nacken.
Wenn sie nur wüssten, wo Robert Sillas auffälliger Siegelring abgeblieben ist und zu welchem Oldtimer die Reifenspuren am Fundort der Leiche gehören!
Lügen, schweigen, mauern
Wir Leser:innen rätseln und kombinieren zusammen mit den Ermittler:innen und sind ebenso ratlos wie sie: Immer, wenn man denkt, so oder so muss es doch gewesen sein, passt wieder ein Puzzleteil nicht ins Bild und die schöne Theorie, so plausibel sie zunächst ausgesehen hat, muss verworfen werden. Zurück zu Feld eins!
Leider ist das persönliche Umfeld des Ermordeten alles andere als kooperativ. Die oberen Zehntausend haben es nicht so gern, wenn man ihre schmutzigen Geheimnisse ans Licht zerrt. Da wird gelogen, verschwiegen und gemauert, dass es eine wahre Pracht ist – und das sehr gekonnt. Promis und Politiker eben. Die haben da Übung.
Und die Zeugen, ja mei, wie’s halt so ist: Die haben nichts Auffälliges bemerkt, haben gar nicht richtig hingeschaut oder können sich nicht erinnern. Sie haben ja nicht geahnt, dass das mal wichtig wird!
Doch egal, wie sehr man etwas zu verbergen trachtet: Irgendwer plaudert immer, und so langsam kann sich auch die Polizei ein Bild von den Ereignissen machen. Das sieht aber ganz anders aus als alles, was sie bislang vermutet hatten. Als Leser:in kann man nicht umhin zu denken, dass die Geschichte furchtbar tragisch ist und nicht so hätte enden müssen … wenn die Leut‘ nicht so wären, wie die Leut‘ eben sind.
Ach ja, und was die neue Kommissarin so sorgsam unter dem Deckel hält, das erfahren wir auch.
Ernster Fall, amüsantes Kollegen-Geplänkel
Der Fall ist ernst – Mord ist nicht zum Lachen und das Verhalten unserer Artgenossen auch nicht immer. Aber die Polizist:innen sind langjährige Kollegen, die einander gut kennen. Ihr freundschaftliches Geplänkel bringt die Leser zum Schmunzeln und sorgt für ein bisschen Leichtigkeit. Ein Krimi soll die Leserschaft ja nicht deprimieren, sondern unterhalten.
Die vier Vorgängerbände zu kennen wäre hier kein Fehler (eh nicht!), weil gelegentlich auf vergangene Ereignisse Bezug genommen wird. Den Kriminalfall selbst versteht man auch als Seiteneinsteiger, aber was die Polizisten antreibt und warum sie handeln, wie sie handeln, das begreift man besser, wenn man deren Vorgeschichte kennt.
Die Reihe geht weiter, und nun bin ich gespannt, wie sich das personell alles so zurechtruckelt – und mit welchen Viechereien wir im nächsten Band zu rechnen haben … nachdem die Polizei auf ihrem Revier schon Katzenkinder aufgezogen hat, einen Vogel bekam und in diesem Band auf den Hund gekommen ist.
Die Autorin
Viola Eigenbrodt ist Journalistin, Dozentin für Kreatives Schreiben und Schriftstellerin. Mit ihrer Familie hat sie einige Jahre in Meran gelebt und gearbeitet. Sie kennt Land und Leute gut, die eigenwilligen Charaktere, die manchmal altertümlich anmutende Sprache und die liebenswerten Marotten der Bewohner der sonnigen Alpensüdseite. Heute lebt sie mit ihrem Mann in der Nähe von Stuttgart und denkt sich dort immer weitere Fälle aus.
Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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