Mathias Berg: Die Kriminalistinnen – Acht Schüsse im Schnee. Kriminalroman

Mathias Berg: Die Kriminalistinnen – Acht Schüsse im Schnee. Kriminalroman, Köln 2024, Emons-Verlag, ISBN 978-3-7408-1685-8, Softcover, 318 Seiten, Format: 13,4 x 2,6 x 20,2 cm, Buch: EUR 14,00, Kindle: EUR 10,99, auch als Hörbuch lieferbar.

Abb.: (c) Emons Verlag

„Das ist ein abgekartetes Spiel“, sagte Menden schließlich […]. „Ich weiß nur noch nicht, wer mit wem unter einer Decke steckt. Aber das werden wir herausfinden. Jetzt ist Schluss, wir lassen uns nicht weiter hinters Licht führen. Wir ziehen jetzt die Glacéhandschuhe aus.“ 

(Seite 280/281)

Düsseldorf 1970: Gut, dass ich der Kriminalistinnen-Reihe doch noch eine Chance gegeben habe! Im ersten Band musste furchtbar viel erklärt und das Romanpersonal vorgestellt werden, was dem Krimi einen staubtrockenen Berichtsstil verlieh. Das entfällt hier im zweiten Band. Die Hauptfigur, Lucia Specht (Anfang 20), hat ihre Erzählstimme gefunden, und jetzt ist das wirklich ein Krimi. Freilich einer, bei dem man oft den Kopf schüttelt über die kruden Vorurteile und die unverhohlene Frauenfeindlichkeit, der die sechs angehenden Kriminalbeamtinnen ausgesetzt sind. So war das damals.

Es ist ein medial viel beachtetes Experiment, erstmals sechs Frauen zu Kriminalbeamtinnen auszubilden. Es entspringt jedoch schnöder Personalnot und hat keinerlei feministischen Hintergrund. Den wenigsten Kollegen passt es, dass jetzt Frauen in diesem Beruf gleichberechtigt mitmischen sollen, und sie legen Lucia und ihren Kolleginnen ganz offen Steine in den Weg. 

Nicht nur das: Als eine angehende Kriminalbeamtin ihrem Göttergatten zu selbstbewusst wird, schickt er sich an, ihr seine „Arbeitserlaubnis“ zu entziehen. Ja, das ging damals! Frauen durften nur arbeiten, wenn ihr Ehemann es ihnen erlaubte. Ältere Leser:innen – wie ich – werden denken: „Mensch, das ist ja noch gar nicht so lange her! Es klingt wie aus der Steinzeit, aber das hat noch gegolten, als ich X Jahre alt war!“

Die Musik, die Lucia hört sowie kurze Personenbeschreibungen (Frisur, Kleidung, Schmuck, ggf. Makeup) tragen zusätzlich zum „Zeitreise-Gefühl“ bei.

Und jetzt zur Krimihandlung: Die Kolleginnen durchlaufen bei ihrer Ausbildung verschiedene Abteilungen. Ex-Sekretärin Lucia Specht ist derzeit bei der Sitte im Einsatz. Zimperlich ist sie nicht. Sie hat in ihrem Leben auch schon einiges gesehen. Überrascht ist sie, als sie nach der Ausweiskontrolle in einem Tanzlokal die minderjährige Michaela Ellerbeck (17) aufgreift und nach Hause bringt. Nicht nur die noble Villa der Ellerbecks bringt sie zum Staunen, sondern auch die Gelassenheit, mit der Michaelas Vater das Fehlverhalten seiner Tochter zur Kenntnis nimmt.  Kein Geschrei, keine Moralpredigt, keine Szene. 

Donnerwetter, denkt die angehende Polizistin, die haben aber ein prima Verhältnis zueinander! Was für ein entspannter, moderner Vater! Tja. So kann man sich täuschen. Am nächsten Tag liegt Theo Ellerbeck tot vor seinem Haus. Aus einem Taxi heraus mit 8 Schüssen niedergestreckt. Tochter Michaela hat alles vom Küchenfenster aus mit angesehen. Das arme Mädchen!

Auch wenn Lucia Specht nicht bei der Mordkommission, sondern bei der Sitte arbeitet: Michaela will nur mit ihr reden, weil sie sie schon kennt. Okay, dann ist das eben so. Lucias Vorgesetzte geben nach – und handeln sich die gleichen Probleme ein wie beim Fall mit der ermordeten Studentin: Lucia Specht glaubt nichts, nur weil ihr das jemand halbwegs plausibel verkauft (DIE KRIMINALISTINNEN: DER TOD DES BLUMENMÄDCHENS). Sie hinterfragt alles und kann dabei sehr stur sein.

Kann sich der Mord tatsächlich so abgespielt haben, wie Michaela ihn schildert? Eigentlich nicht … Auch die Familienverhältnisse und die Beziehung der Angehörigen untereinander sind nicht so, wie es nach außen hin den Anschein hat. Bleibt die Frage, wer vom Tod Theo Ellerbecks am meisten profitieren würde. Selbst hier gibt’s Unklarheiten, die es eigentlich nicht geben dürfte. Dann verschwindet Michaela. Entführt oder mit ihrem Freund durchgebrannt? Als Leser:in befürchtet man, sie sei vielleicht beseitigt worden, weil sie über den Tod ihres Vaters mehr gewusst hat, als gut für sie war. Aber man ist offen für alles, was Lucia und ihre Kolleg:innen ans Licht bringen werden, denn in diesem Fall ist gar nichts so, wie es aussieht.

Das ist schon clever gemacht: Immer, wenn man als Leser:in glaubt, dass man jetzt kapiert hat, wer was auf der Agenda hat und wer mit wem gemeinsame Sache macht, kommt wieder ein Informationshäppchen, das alles, was man sich bisher zusammengereimt hat, zur Makulatur macht. Da geht’s den Lesern nicht besser als der Polizei.

Der Mordfall Ellerbeck ist jedoch nicht Lucias einzige „Baustelle“. Nie hat sie den Grund aus den Augen verloren, aus dem sie überhaupt Polizistin werden wollte: Als sie noch ein Kind war, ist ihre Mutter auf dem Heimweg von der Arbeit überfallen worden und auf der Flucht vor dem Täter tödlich verunglückt. Den Angreifer hat man nie gefasst. Lucia hat den Mann damals kurz gesehen und ist besessen von dem Gedanken, ihn zu finden und nach all den Jahren zur Rechenschaft zu ziehen. Jetzt, da sie an der Quelle sitzt, beschafft sie sich die alte Fallakte und ermittelt gänzlich inoffiziell mit Hilfe wohlgesonnener Kolleg:innen in ihrem persönlichen Cold Case.

All die Jahre ist Lucia davon ausgegangen, dass ihre Mutter von einem Wildfremden angegriffen wurde. Auf einmal gibt’s Hinweise darauf, dass Friseurmeisterin Marie Specht den Täter gekannt haben könnte. Ein Freund der Familie? Ein Kunde in ihrem Salon? Auf die Hilfe von Vater und Bruder kann Lucia bei ihren privaten Ermittlungen nicht zählen, die setzen voll auf Verdrängung. Aber Maries damalige Mitarbeiterin könnte mehr wissen. Oder die Kneipenwirtin Gerlinde. Mit Sicherheit aber der Pressefotograf Konrad Becker. Aber dieser Schmierlappen rückt nix raus ohne Gegenleistung …

Geradezu putzig wirkt dagegen Lucias dritte „Ermittlungs-Baustelle“: Jemand legt ihr am Arbeitsplatz kleine Zettel und Geschenke hin. Die Botschaften klingen freundlich und harmlos, aber es ist trotzdem eine Form von Stalking – ein Begriff, den es damals noch nicht gab. Lucia weiß nicht, ob das von einem schüchternen Verehrer kommt oder ob die Botschaften dazu gedacht sind, sie zu verunsichern und zu ängstigen. Sie ist wild entschlossen, es herauszufinden.

Und dann gibt’s noch diverse Probleme im Kolleg:innenkreis. Wenn man das Buch in einem Rutsch durchliest, kann man das alles im Blick behalten. Hätte ich es aus Zeitgründen etappenweise lesen müssen, hätte ich wahrscheinlich Orientierungsschwierigkeiten bekommen. Hier ist, wie im richtigen Leben, mächtig viel los.

Nicht alles wird zur Zufriedenheit der Leser:innen aufgelöst. Dazu bräuchte es mindestens einen dritten Band. Jetzt hört das Buch aber mit einem gemeinen Cliffhanger auf, und es stellt sich die Frage, ob es überhaupt einen Band 3 geben kann und wird. Wenn ja, werde ich mich nicht lange bitten lassen und ihn lesen. Denn jetzt will ich wissen, wie es weitergeht mit Lucia, Mario, Johannes, Petra und ihren Problemen, Lucias Bruder Henning, dem Kohlen-Karl und seinem Kumpel … na ja, eben mit allen, die diese Reihe bevölkern und noch offene Fragen hinterlassen.

Mathias Berg wurde 1971 in Stuttgart geboren und schreibt seit seinem 14. Lebensjahr. Nach dem Studium der Soziologie in Bamberg und London wurde er PR-Redakteur und arbeitete in der Werbung und im Marketing. Mathias Berg ist verheiratet und lebt in Köln und in der Vulkaneifel.

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Rezensentin: Edith Nebel 
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
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