„Wie entspannend sind Bücher?“ Diese Frage stellt die Medizin-Journalistin und Buchautorin Stella-Cornelius-Koch in ihrer Blogparade: http://www.stress-abbauen-blog.de/blogparade-wie-entspannend-sind-buecher/
Gute Frage! Ich bin ein altes Verlagswesen. Bücher sind seit rund 30 Jahren mein Geschäft. Da wäre es durchaus vorstellbar, dass ich nach Feierabend keine mehr sehen könnte, genau wie ich abends keinen Computer mehr anschalten mag, nachdem ich im Büro 10 Stunden und länger davorgesessen habe. Doch vermutlich bin ich in der Verlagsbranche gelandet, weil ich auch privat so viel und so gerne lese. In jungen Jahren waren es überwiegend Science Fiction- und Fantasy-Romane, heute meist Krimis und Tierbücher. Oft auch Familiengeschichten, heiter oder dramatisch, Jugendbücher oder Sachbücher aus den Bereichen Psychologie, Soziologie oder der Arbeitswelt. Ich bin fast ein literarischer Allesfresser.
Die Zeit zum Lesen ergibt sich bei mir automatisch: Da ich kein Auto habe, bin ich häufig mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Und ich habe immer ein Buch in der Tasche. Wenn ich in Bus oder Bahn sitze oder auf den Anschluss warten muss, lese ich. Somit ist das Fahren keine unnütz verbaselte Lebenszeit sondern aktiv genutzte Lesezeit. Statt in die missmutigen Gesichter meiner Mitreisenden schaue ich in ein Buch und flüchte für eine halbe Stunde in eine andere Welt.
Im Jahr 2003 bin ich in meiner Freizeit in das private Internetprojekt www.tiergeschichten.de eingestiegen. Es dauerte nicht lange, und die Autoren schickten uns nicht nur Geschichten, sondern auch ihre Bücher mit der Bitte um eine Rezension. Da ich schon in den 80-er Jahren Buchvorstellungen für Printmedien geschrieben hatte, habe ich diese Anregung gerne aufgegriffen und auf der Seite zunächst Tierbücher vorgestellt. Und weil manche Autoren auch Bücher zu anderen Themen veröffentlicht hatten, haben wir die Buchvorstellungen um „Menschenbücher“ erweitert. Das umfasst dann … alles.
Anfangs kochte die Rezensions-Rubrik auf kleiner Flamme. Meist meldeten sich Hobbyautoren, die ihre Werke selbst verlegt hatten oder in einem Kleinstverlag untergekommen waren. Irgendwann wechselten welche ins Profilager und die großen Verlage kamen ins Spiel.
Mittlerweile veröffentliche ich Varianten meiner Rezensionen auch in meinem eigenen Blog www.boxmail.de sowie in diversen buchaffinen Internetforen, und dass ich das mache, spricht sich herum. Manche Verlage schicken mir schon automatisch die Werke bestimmter Autoren oder Genres, bei anderen kann ich pro Halbjahr eine bestimmte Anzahl von Rezensionsexemplaren kostenlos abrufen. Das ist natürlich verführerisch. Es gibt ja so viele tolle Titel! Mich interessiert vieles, und mittlerweile kenne ich auch schon den Geschmack der Leser. „Ach, das ist was für unsere Pferdefreunde“ – „Das wird den Jugendbuch-Leserinnen gefallen“. Und so habe ich immer eine Kiste mit noch zu besprechenden Büchern daheim herumstehen und bin regelmäßig ein Dutzend Werke im Rückstand.
Arbeit ist das natürlich schon: das gründliche Lesen, die Notizen, das Ausformulieren, das Onlinestellen nach verschiedenen Vorgaben. Aber ich mache das gern.
- Ich bekomme durch Kontakte zu den Fremdverlagen einen guten Überblick darüber, was auf dem Markt los ist, was mir auch im Job hilft.
- Ich liebe es, neue Themen und Autoren zu entdecken und Empfehlungen zu geben.
- Wenn ein Buch mal nix taugt, scheue ich mich auch nicht, eine saftige Schmarrnwarnung auszusprechen. Das wird zum Glück selten nötig, weil ich Bücher, bei denen ich Bullshitverdacht hege oder zu deren Genre ich keinen Zugang habe, gar nicht erst lese. Ich mache das immerhin in meiner Freizeit und will mir diese nicht durch schlechte Bücher vergällen.
Wenn mich der Inhalt eines Buches fesselt oder amüsiert und die Gedanken und Taten der Romanfiguren nachvollziehbar sind, fühle ich mich gut unterhalten. Wenn ich nebenbei noch etwas Neues lerne, egal worüber, nehme ich das als zusätzlichen Bonus gerne mit. Ich habe Freude an „nutzlosem Wissen“.
Problematisch wird es, wenn ich mir erst eine Zeichnung oder Liste machen muss, um achtunddrölfzig Nebenfiguren in Schach halten zu können. Bücher mit über 50 Personen hatte ich schon. Das ist mir zu anstrengend. Und die Krise kriege ich, wenn in einem Roman das Zahlenchaos herrscht. Wenn Jahreszahlen genannt werden, gehe ich davon aus, dass das eine Bedeutung hat und rechne automatisch mit. Ihr würdet staunen, wie oft das Ergebnis gar nicht stimmen kann! Mal müsste die Mutter bei der Geburt ihres Jüngsten 75 Jahre alt gewesen sein, mal ist die Großmutter 20 Jahre zu jung und zwischen ihren Enkeln und ihr ist gar kein Platz mehr für die Elterngeneration. Oder man macht in einem fertigen Manuskript aus einem Mittfünfziger einen Dreißigjährigen, ohne den Lebensstil des Protagonisten dieser Tatsache anzupassen. Sowas ärgert mich. Das ist eine Schlamperei. Genau wie Nebenfiguren, die auf 30 Seiten drei verschiedene Vornamen haben. Erst Franz, dann Fritz, dann Ferdinand.
Wie das zustande kommt, ist mir schon klar: Aus verschiedensten Gründen wird das Manuskript –zigmal umgeschrieben, und irgendwann kriegt der Autor die Enden nicht mehr zusammen. Das müsste dann allerdings im Lektorat auffallen, doch habe ich das Gefühl, dass manche Fehler erst im Verlag ins Manuskript hineinkommen. Und der zahlende Leser darf das Chaos dann entwirren und raten, wie’s ursprünglich mal gemeint gewesen sein könnte. Das ist nicht seine Aufgabe. Da wird das Freizeitvergnügen zur unfreiwilligen Detektivarbeit.
Vielleicht lese ich auch zu genau und zu analytisch. Wer über solche Ungereimtheiten locker-flockig hinweghudeln kann, liest sicher deutlich entspannter. Satzfehler und mal ein falsch gesetztes Komma – geschenkt! Aber Sach- und Logikfehler kann ich nicht ignorieren. Da kommt mir wohl mein Job dazwischen.
Wenn ich nicht gerade über Unstimmigkeiten stolpere, ist es mein Traum von Ruhe und Entspannung, an einem meiner Lieblingsplätze zu sitzen – auf dem Balkon oder im Park – und mit einem spannenden Roman in eine fremde Welt einzutauchen. Oder durch ein verständlich geschriebenes Sachbuch zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.
Dass ich besonders gerne Krimis lese, schreibe ich der Möglichkeit zu, mitraten zu können. Ich messe mich gerne mit den Ermittlern und hoffe jedes Mal, vor ihnen dem Täter auf die Spur zu kommen. Das schaffe ich aber meistens nur bei Fernsehkrimis. Da ist es auch einfach: Immer der prominenteste Nebendarsteller ist der Mörder. Berühmte Schauspieler machen nicht in einer Serie mit, um einen trotteligen Schwager oder eine unscheinbare Sekretärin zu spielen. Die wollen die Rolle des Täters. Bei Kriminalromanen ist das nicht so leicht. Gut, ein überraschendes Ende hat auch seinen Reiz, sofern es nicht allzu unvermittelt aus dem Hut gezaubert wird.
Auf jeden Fall hat man als Krimileser die fast hundertprozentige Gewissheit, dass, egal wie schlimm die Tat war, die zu Beginn der Geschichte verübt wurde, der Täter rund 350 Seiten später zur Verantwortung gezogen wird. Von so einer Gerechtigkeit kann man im wahren Leben nur träumen. Manchmal ist die Fiktion eben die bessere Realität.
