Paul Grote: Königin bis zum Morgengrauen. Mord in Franken

Paul Grote: Königin bis zum Morgengrauen. Mord in Franken, München 2014, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-21535-0, Softcover, 383 Seiten, Format: 19,6 x 12,2 x 2,6 cm, Buch: EUR 9,95 (D), EUR 10,30 (A), Kindle Edition: EUR 7,99.

Abbildung: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
Abbildung: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag

„Ich hatte schon mal den Verdacht, dass es jemandem von ganz oben nicht passt, dass gerade sie zur Königin gewählt wurde. (…) Irgendwer wollte eine andere als Henriette.“
Sie sah Nicolas eindringlich an, als wüsste er, um wen es sich handelte, und er meinte, Angst in ihren Augen zu bemerken. Fürchtete jetzt auch sie um ihr Leben? (Seite 212)

Seit fünf Jahren leitet der ehemalige Frankfurter Architekt Nicolas Hollmann, 35, ein Weingut am Rio Douro in Portugal (Paul Grote: DER PORTWEINERBE, ISBN 978-3-423-21082-9). Jetzt haben seine Lebensgefährtin – Reiseleiterin Rita Berthold – und er einige Geschäftstermine in Deutschland wahrzunehmen. Mit dabei: ihre dreijährige Tochter Rebecca.

Als „Stützpunkt“ für ihren mehrmonatigen Deutschlandaufenthalt dient ihnen Ritas Elternhaus in Würzburg. Das klingt zunächst nach einer guten Idee: Es ist billiger als ein Hotel, die Familie sieht sich mal wieder und die Großeltern können ab und zu auf ihr Enkelchen aufpassen, wenn die Eltern geschäftlich unterwegs sind. Es wächst sich aber zum absoluten Albtraum aus, weil Rita partout nicht mit ihren Eltern auskommt. Sie ist ja nicht ohne Grund in sehr jungen Jahren von zu Hause weggegangen.

Die Eltern sind aber auch ein Ausbund an Spießigkeit und Engstirnigkeit, und der Rest von Ritas Verwandtschaft ist keinen Deut besser! Was immer die junge Frau sagt, tut oder unterlässt, nie ist es recht und daran wird sich auch nichts mehr ändern. Kein erfolgreich geführtes Unternehmen, kein niedliches Töchterchen und kein sympathischer und vermögender Lebenspartner kann die Sippe besänftigen. Es passt ihnen schon nicht, dass das Paar nicht verheiratet ist. Vor allem die kirchliche Trauung Rebeccas Taufe wäre ihnen wichtig.

Nicolas’ Familiengeschichte mütterlicherseits böte eine erstklassige Begründung/Ausrede für seine Kirchenferne. Aber er will keinen Ärger oder ist einfach zu anständig für solche Spielchen. Schade eigentlich. Das fassungslose Entsetzen auf den Gesichtern seiner unerträglichen Schwiegereltern wäre sicher unbezahlbar gewesen. Vielleicht wäre sogar spontan der Erbfall eingetreten …

Die Schwiegermutter bringt Nicolas über dessen Kopf hinweg in die Jury zur Wahl der fränkischen Weinkönigin. Das findet Nicolas zwar nicht so prickelnd, aber um des lieben Friedens willen macht er mit. Gekürt wird die schöne Henriette Müller, eine Winzer-Azubine aus Nordheim, doch sie regiert nicht lange. Nach der Siegesfeier wird sie tot auf dem Damenklo des Clubs „Last Chance“ aufgefunden. Drogen soll sie genommen haben. Das pfeifen die Spatzen schon von den Dächern, noch ehe die Rechtsmedizin es bestätigen kann. Statt Beileid gibt’s eine Hexenjagd und Henriettes Eltern wagen sich kaum noch aus dem Haus. Auf den Posten der Weinkönigin rückt die Zweitplatziere nach, Anneliese Fünfinger aus Escherndorf, eine 23jährige Studentin der Lebensmittelchemie.

Weil der Zoff im Hause Berthold extrem eskaliert, zieht Nicolas mit seiner Familie aus. Marion Kästner, eine Schulfreundin von Rita, und ihr Mann, der Weinbautechniker Hans, haben ihnen eine Ferienwohnung angeboten. Jetzt könnten sich die beiden Wahlportugiesen einfach darüber freuen, der Familienhölle entronnen zu sein, fleißig ihre Termine wahrnehmen und dann wieder nach Hause fliegen. Aber sie lassen sich in die Privatermittlungen von Kästners Bruder Roger hineinziehen, einem Ex-Polizisten, der nicht glauben will, dass Henriette freiwillig Drogen genommen hat. Möglicherweise hat ihr ja jemand was ins Glas gemischt, um sie, warum auch immer, aus dem Weg zu räumen. Ob jemand im „Last Chance“ an dem bewussten Abend etwas gesehen hat? Man müsste den Angestellten mal auf den Zahn fühlen …

Darauf, dass die Polizei ihren Job macht, vertraut weder Nicolas Hollmann noch Roger Kästner. Hier sind zwei sture Eigenbrötler mit einem tiefen Misstrauen gegenüber allen Organisationen und Autoritäten auf dem Kriegspfad. Wer ihre Gegenspieler sind, wissen sie nicht. Dass diese nicht einmal vor Mord zurückschrecken, hätte ihnen eigentlich eine Warnung sein müssen. Doch weder Cybermobbing noch k.o.-Tropfen im Drink können die Hobbydetektive stoppen. Hier ist was faul, und das können sie nicht auf sich beruhen lassen.

Nicolas ist nicht wirklich bei der Sache. Zuviel ist gerade los in seinem Leben: seine Geschäfte, die permanenten Familienstreitigkeiten, ein langwieriges Problem daheim in Portugal – und eine attraktive junge Fränkin, für die er mehr empfindet als für seinen Seelenfrieden gut ist. Bald wird er heimreisen und vielleicht nie erfahren, wer die Weinkönigin getötet hat.

Auf dem Barockfest geht Nicolas plötzlich ein Licht auf … und dem Leser auch. Der letztgenannte ist von der Auflösung vielleicht ein bisschen enttäuscht, weil er bei all der Gesellschaftskritik, die den Roman durchzieht, Motiv und Täter in einer ganz anderen Ecke vermutet hätte.

Geht man nach dem Autor, sind in Franken der Wein und das Essen ganz ausgezeichnet, Landschaft und Architektur kann man auch so lassen. Aber die Leut’ …! Spießig, bigott und hinterwäldlerisch, ganz schlimm. Würde ich aus dieser Gegend stammen, wäre ich jetzt sicherlich beleidigt.

Nicolas Hollmann ist rund 20 Jahre jünger als die Helden von Paul Grotes übrigen Wein-Krimis. Er ist noch kein mittelalter Grantler, aber auf dem besten Weg dorthin. Frau und Kind, ein guter Wein und ein paar handverlesene Freunde, das ist ihm wichtig. Der Rest der Welt kann ihm gestohlen bleiben. Seine Herkunftsfamilie mag er nicht, seine Schwiegerfamilie mag er nicht, Politiker, Funktionäre, Parteien, Vereine, Organisationen, Kirche, Religionen, Polizei … mag er auch alles nicht. Probleme löst er am liebsten in Eigenregie. In dieser Hinsicht ist er ein moderner Nachfahre der Westernhelden, nur dass er seine Gegner mit Grips statt mit Knarre zur Strecke bringt. Das geht zwar gern mal ins Auge, aber was will man machen, wenn man niemandem außer sich selbst vertraut?

Bei diesem Krimi braucht man ein bisschen Geduld. Erst nach rund 90 Seiten im Wein- und Reiseführermodus plus Bertholdschem Familienzoff kommt es zum versprochenen Kriminalfall.

Wenn man zu einem Wein-Krimi von Paul Grote greift, muss man sich darüber im klaren sein, dass man den Helden bei all seinen beruflichen Gängen begleitet und in diesem Zusammenhang ausführlich über die verschiedenen Lagen, Böden, Weingüter, Rebsorten, Weine, Anbaumethoden und die Philosophie der jeweiligen Winzer informiert wird. Weil der Protagonist dieses Romans früher mal Architekt war und derzeit Anregungen für den Umbau seiner Quinta sucht, sind diesmal auch noch Exkurse in die Architektur dabei. Das alles bremst natürlich den Fortgang der Handlung. Einen temporeichen Action-Krimi kann man bei so einem Konzept nicht erwarten. Es ist eher ein regionaler Weinführer mit Krimi-Elementen. Wer weder einen Bezug zu Weinen noch zur Gegend um Würzburg hat, wird an diesem Buch vermutlich nicht viel Freude haben. Für Weinliebhaber und Kenner der Region sieht die Sache freilich anders aus.

Wenn einem Herrn Grotes Ausführungen hie und da doch zu detailreich sind, kann man sich auch über den einen oder anderen Geschäftstermin des Protagonisten flüchtig hinwegmogeln. Denn natürlich will man vor allem eines wissen: Wer aus welchem Grund die Weinkönigin ermordet hat …

Der Autor
Paul Grote berichtete fünfzehn Jahre lang als Reporter für Presse und Rundfunk aus Südamerika. Seit 2003 lebt er als freier Autor in Berlin. Sein Gespür für Wein, sein Wissen und seine Erfahrungen spiegeln sich in allen seinen Krimis wider.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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