Elli H. Radinger: Die Weisheit alter Hunde

Elli H. Radinger: Die Weisheit alter Hunde. Gelassen sein, erkennen, was wirklich zählt – Was wir von grauen Schnauzen über das Leben lernen können, München 2018, Ludwig-Verlag, ISBN 978-3-453-28108-0, Hardcover mit Schutzumschlag, 319 Seiten, zahlreiche Fotos in Farbe und Schwarzweiß, Format:  14 x 3,3 x 22 cm, Buch: EUR 22,00, Kindle: EUR 17,99.

Abb. (c) Ludwig-Verlag

„Je näher wir dem Ende kommen, desto ausgiebiger sollten wir uns freuen. Das ist die Weisheit, die uns unsere alten Hunde hinterlassen. (…) [Sie] kennen die Weisheit des Glücks: Gib mir einen Knochen und ich bin glücklich – gib mir einen Platz in deinem Herzen und DU wirst glücklich sein.“ (Seite 309)

Wolfsforscherin Elli H. Radinger hat ihre Forschungsarbeiten in den USA einstweilen ausgesetzt, weil sie ihre alte Labradorhündin Shira weder mitnehmen kann noch so lange in der Obhut von Verwandten zurücklassen möchte.

Die Autorin weiß, was auf sie zukommt

Shira ist jetzt 12. Da ist für einen großen Hund schon recht betagt. Die Autorin weiß, was auf sie zukommt. Sie hat ihr Leben schon mit anderen Hunden geteilt und sie im hohen Alter beim Sterben begleitet. Diesen letzten Liebesdienst will sie auch Shira erweisen und die verbleibende Zeit mit ihr genießen. „Hunde sind eine Bereicherung. Je älter sie werden, desto kostbarer ist die Zeit, wie wir mit ihnen verbringen dürfen“, schreibt sie (Seite 16). Ihre Entscheidung haben nicht alle Menschen in ihrem Umfeld nachvollziehen können. Tierhalter*innen aber schon.

Dass der Umgang alter Hunde mit dem Ende des Lebens den Menschen zum Nachdenken darüber bringt, was wirklich wichtig ist, ist nicht weiter verwunderlich.

Alter ist keine Krankheit, aber es stellen sich natürlich diverse gesundheitliche Einschränkungen ein. Hund und Frauchen müssen beide wegen Rückenbeschwerden regelmäßig zum Physiotherapeuten. Shira braucht Unterstützung um ins Auto einzusteigen. Und weil sie nichts mehr hört,. muss ihr Mensch die Kommandos auf Zeichensprache umstellen.

Der Aktionsradius wird kleiner

Das Leben wird ruhiger mit einem alten Hund – und der Aktionsradius wird kleiner. Man kann eben keine langen Ausflüge und weiten Reisen mehr unternehmen. Aber so ist das nun mal, wenn man sich „in guten wie in schlechten Tagen“ um sein Rudel kümmert. Die Autorin, die allein lebt, hat auch schon geregelt, wer für ihr Tier sorgen wird, falls sie es aus gesundheitlichen Gründen einmal nicht mehr tun kann. Für Notfälle trägt sie z.B. stets eine Karte bei mit der Information, dass sie einen Hund zu Hause hat, und wer zu benachrichtigen sei, damit er sich um ihn kümmert. Das gehört dazu, wenn man seinem Haustier in jeder Lebenslage ein verlässlicher Partner sein will.

Eine Erkenntnis, die einem ein Hund über das Leben vermittelt, ist, dass man nicht perfekt sein muss, um geliebt zu werden. Dem Tier ist es egal, ob der Mensch attraktiv und erfolgreich ist oder nicht und ob er in der Hund-Mensch-Beziehung immer alles richtig gemacht oder sich lediglich eifrig bemüht hat. Das beruhigt. Wir sind ja alle fehlbar und Hunde sind zum Glück nicht nachtragend. „Okay, du hattest gestern keine Lust auf die Gassirunde? Macht nichts. Lass uns JETZT gehen. Das bisschen Regen ist doch lustig“, (Seite 97). Das würde nach Meinung der Autorin wohl ihre Hündin Shira sagen.

Für deinen Hund bist du wichtig

An dieser Einstellung können wir Menschen uns ein Beispiel nehmen. Und wenn wir die Menschen, mit denen wir zu tun haben, mit derselben ungeteilten Aufmerksamkeit bedenken wie Hunde das tun, wäre auch schon viel gewonnen. (D)ein Hund schaut dich an und du hast das Gefühl, du seist unheimlich wichtig. Er macht den Eindruck, als würde er dir fasziniert zuhören, selbst wenn du nur Blödsinn erzählst. 😉

Und von wegen, ein alter Hund lernt keine neuen Tricks mehr! Hunde haben keine Angst vor Neuem. „Pfeif aufs Alter, bleib neugierig, beweg dich, probiere ohne Angst was Neues aus und hab Spaß am Leben“, (Seite 141) Das würde Shira wohl den Zweibeinern raten, wenn sie sprechen könnte. Und das wären nicht die schlechtesten Tipps …

Geduld und Minimalismus

Geduld können, ja müssen wir von alten Hunden lernen, weil bei ihnen eben alles nicht mehr so schnell geht, wie wir uns das vielleicht wünschen. Und weil ihre Hündin gehörlos ist, lernt Elli Radinger die Stille zu schätzen, mit Körpersprache zu arbeiten und sich klarer auszudrücken. Vielleicht können wir uns auch die Ansicht unserer Hunde zu eigen machen, dass Dinge nicht wichtig sind. Oder, wie die schwedische Autorin Margareta Magnusson sagt: „Je weniger Zeug man hat, desto mehr Zeit bleibt fürs Leben.“ (Seite 180)

Hunde zeigen uns auch, dass der gegenwärtige Moment der Wichtigste ist. Das Gestern und das Morgen können wir nicht ändern. Aber wir können den Augenblick bewusst wahrnehmen und genießen und dankbar sein für das, was wir haben.

Hinnehmen, was nicht zu ändern ist

Hunde nehmen hin, was nicht zu ändern ist. Und Menschen fällt es dagegen schwer, nicht auf alles und jedes aus dem Umfeld zu reagieren. Dass wir das nicht tun müssen und dass niemand außer uns selbst dafür verantwortlich ist, wie wir uns fühlen, diese Gedanken sind uns fremd. Viele von uns werden erstmals im Rahmen einer Therapie mit dieser Vorstellung konfrontiert. Hunde wissen das von Haus aus. Sie brauchen kein Gelassenheitsgebet. „Das Geschenk, das uns alte Hunde immer wieder machen, ist, uns zu zeigen, dass heute ein guter Tag ist um zu leben. Und nicht, um sich Sorgen zu machen, wie es wohl morgen aussehen mag.“ (Seite 235)

Sehr berührend ist das Kapitel vom Loslassen (ALLES HAT SEINE ZEIT, Seite 251 ff), in dem die Autorin den Abschied von ihrer Hündin Lady schildert. „Loslassen“, schreibt sie, „ist ein Akt der Liebe. Es beruht auf der der tiefen inneren Erkenntnis, dass das Leben seinen Lauf nimmt und sich nichts festhalten lässt.“ (Seite 258) Diese Lektion lernt auch der Nicht-Hundehalter zwangsläufig mit zunehmender Lebenserfahrung.  Mit etwas Glück ist uns allen die Erkenntnis beschieden, dass Trauer zwar ein anhaltender Prozess ist und uns verändert, wir aber trotzdem weiterleben und wieder lachen und lieben werden.

Nicht für Hunde, sondern für Menschen

Manche Leser*innen hatten hier einen Ratgeber für den richtigen Umgang mit betagten Hunden erwartet und waren enttäuscht. Das ist das Buch aber nicht – oder nur ganz am Rande. Es geht wirklich in der Hauptsache um den Menschen … wie er wachsen und reifen kann, wenn er durch seine Haustiere mit den Themen Altern, Tod und Trauer konfrontiert wird. Dies zu vermitteln ist der Autorin auf eine sehr persönliche, anekdotenreiche und warmherzige Weise gut gelungen.

Die Autorin

Elli H. Radinger ist Fachjournalistin und Autorin mit Schwerpunkt Wolf und Hund. Die Naturforscherin und Wolfsexpertin beobachtet wildlebende Wölfe im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark und hält Lesungen und Vorträge. Um ihre 13 Jahre alte Hündin durch die letzten Jahre ihres Lebens zu begleiten, unterbrach die Autorin ihre Wolfsforschung. „Shira ist meine Familie und hat Priorität. Das habe ich von den Wölfen gelernt.“

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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