Adam Hart-Davis: Schrödingers Katze. Und 49 andere Experimente, die die Physik revolutionierten

Adam Hart-Davis: Schrödingers Katze. Und 49 andere Experimente, die die Physik revolutionierten, OT: Schroedinger’s Cat And 49 Other Experiments That Revolutionised Physics, München 2019, aus dem Englischen von Hanna Lemke, Knesebeck Verlag, ISBN 978-3-95728-336-8, Softcover, 176 Seiten mit farbigen Illustrationen von Jason Anscomb, Format: 15,1 x 2,2 x 20,8 cm, EUR 16,00.


Abb. © Knesebeck-Verlag

In alten Zeiten erklärte man sich Ereignisse, die man nicht verstand, mit Magie oder mit dem Willen der Götter. Doch hat es immer wieder Menschen gegeben, die sich mit diesen „Erklärungen“ nicht zufriedengegeben haben. Sie haben die Natur beobachtet, Fragen gestellt, Theorien entwickelt, Versuche gemacht und Antworten gefunden. Dies geschah nicht immer im Alleingang. Denker*innen und Forscher*innen haben mit anderen zusammengearbeitet und/oder auf den Erkenntnissen anderer aufgebaut. So haben wir nach und gelernt, wie unsere Welt funktioniert. Und wir lernen noch immer.

50 bahnbrechende Experimente aus der Physik stellt uns der Autor in diesem Buch vor – von der Antike bis fast in die Gegenwart. Ich kannte Hart-Davis‘ Buch über die revolutionären Experimente in der Psychologie und fand sie recht unterhaltsam und informativ. Nun wollte ich wissen, was er mit der Physik, der vielleicht ältesten aller Naturwissenschaften, anstellt.

Verblüffende Versuche und Schlusfolgerungen

Nun bin ich wie viele andere Menschen auch, in Physik allenfalls durchschnittlich bewandert. Bringt das Buch trotzdem was? Ja! Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus! Die Fragen der Denker aus Antike und Mittelalter konnte ich ja noch verstehen. Die kann man sich als kritischer Mensch durchaus stellen. Ist Luft „etwas“ oder “nichts“? Wie kriegt man raus, ob ein Objekt wirklich aus Gold ist, oder ob der Goldschmied Rohmaterial abgezwackt und etwas Billigeres hineingemauschelt hat? Warum ist ein Regenbogen bunt? Fallen kleine oder große Gegenstände schneller? Ist die Luft oben auf dem Berg dünner als unten im Tal? Aber wenn es dann an die Versuchsanordnungen oder gar an Formeln geht, wird offenbar, warum diese Herrschaften hier als Physikgenies in die Geschichte eingegangen ist, während ich nur mit einem „Befriedigend“ abgeschlossen habe. J

Intelligenz, Kreativität und Engagement

Irgendwann habe ich beschlossen, dass es egal ist, ob ich die Berechnungen nachvollziehen kann oder nicht und habe das Buch als Hommage an kluge Menschen gelesen, an ihr Beharrungsvermögen und ihre Hingabe an die Sache.

Manche hatten es ja echt nicht leicht: Monatelang haben die britische Hofastronom Nevil Maskelyne und seine Mitarbeiter im Jahr 1774 bei schlechtem Wetter auf einem schottischen Berg ausgeharrt, der ihm dafür geeignet schien, die Welt zu wiegen (!). Die Idee dahinter: „Wenn man ein Lot neben einen Berg halten, die Abweichung von der Senkrechten ermitteln und daraus die Masse des Bergs ableiten könne, könnt e man die Erdmasse berechnen – und damit auch die des Mondes, der Sonne und anderer Planeten.“ (Seite 55)

Der Wert, den Isaac Newton ein Jahrhundert zuvor geschätzt hatte, erwies sich zwar im Nachhinein als der exaktere, aber Maskelynes aufwändiges Experiment ist der erste Versuch, die Erdmasse zu ermitteln. Dass Maskelyne gar nicht so scharf darauf war, das Experiment selbst auszuführen und nur auf den Berg klettern musste, weil sich sonst niemand dafür fand, macht das Genie menschlich.

Menschen und ihre Entdeckungen

Manchmal hat man das Gefühl, dass die Lebensgeschichte der Forscher*innen nicht weniger interessant ist als das, was sie entdeckt haben. Marie Sklodowska-Curie wäre ein Beispiel – oder Nikola Tesla. Was die Ehefrau von James Joule wohl dazu gesagt hat, als er 1847 die Flitterwochen damit verbrachte, an einem Wasserfall in Südfrankreich den Temperaturunterschied an Beginn und am Ende der Fallstrecke zu messen? Joule war übrigens auch der erste, der das Prinzip der Energieerhaltung formulierte – wenn auch mit einer unwissenschaftlichen Begründung. Und gibt es eigentlich einen nachvollziehbaren Grund dafür, dass 1974 nicht die nordirische Astronomin Susan Jocelyn Bell den Nobelpreis für ihre Entdeckung der Pulsare bekam, sondern ihr Doktorvater Antony Hewish? Es gibt viele solcher Geschichten rund um die wissenschaftlichen Fakten, die einen doch näher interessieren würden.

Denker der Antike

Das Buch ist chronologisch aufgebaut. Im ersten Kapitel begleiten wir die Denker der Antike bei ihrer Suche nach Antworten. Dass Archimedes 240 vor unserer Zeit auf das Prinzip der Verdrängung von Flüssigkeit gekommen ist, kann man ja noch begreifen. Aber dass Erasthotenes zehn Jahre später schon verflixt genau den Erdumfang berechnen konnte, ist doch verblüffend. Das konnten also schon die alten Griechen!

Die Forscher des Mittelalters

Mit den Themen Schwerkraft, Pneumatik (Luftdruck und Vakuum), Licht, Mechanik und Thermodynamik haben sich die Forscher des Mittelalters befasst. In diesem Kapitel erfahren wir auch, was es mit der Anekdote vom herabfallenden Apfel auf sich hat, der angeblich Isaac Newton zu seinen Überlegungen bezüglich der Anziehungskraft der Erde inspiriert hat.

Neue Möglichkeiten im 18. Jahrhundert

Im 18 Jahrhundert gab es dann schon andere Möglichkeiten. Plagte sich Nevil Maskelyne im Jahr 1774 sich noch in einem unwirtlichen Camp auf einem Berg mit der Ermittlung der Erdmasse ab, gelang es 1798 dem als exzentrisch beschriebenen – und möglicherweise im autistischen Spektrum angesiedelten – Henry Cavendish dasselbe im Labor mittels einer Drehwaage, die Professor John Michell entwickelt hatte. Auch hier sind die Menschen mindestens so interessant wie ihre Arbeit.

Jetzt kommen auch Entdeckungen rund um die Elektrizität ins Spiel und erste Elektromotoren werden entwickelt.

Licht, Strahlung und Atome

Im vierten Kapitel (1851 bis 1914) geht es hauptsächlich um Licht, Strahlung und Atome. Die Röntgenstrahlen werden entdeckt, die Beschaffenheit der Atome und die Radioaktivität. Nikola Tesla wollte drahtlos Strom über den Atlantik schicken, Albert Einstein formulierte seine spezielle Relativitätstheorie und James Franck und Gustav Ludwig Hertz kommen dem Quantensprung auf die Spur.

Ab Kapitel 5 wird’s ziemlich komplex

Bis hierher kann man als normal begabte*r Leser*in noch einigermaßen folgen. Aber dann verliert man den Boden unter den Füßen. Mir ging es zumindest so. In Kapitel 5 (1915 bis 1939) ist das „Rätsel der Materie“ Thema, in Kapitel 6 (1940 bis 2009) geht es quer durchs Universum. Ab da klang für mich alles irgendwie nach RAUMSCHIFF ENTERPRISE: Protonen, Photonen, Positronen und Neutronen … Dunkle Energie, Dunkle Materie und Antimaterie … Kernspaltung und Kernfusion, Teilchenphysik, Schwarze Löcher, Pulsare und die Ausdehnung des Universums …

Ja, ich habe das alles mit Staunen und Interesse gelesen – vieles davon von nicht zum ersten Mal. Ich kann aber die Heisenberg’sche Unschärferelation höchstens aufsagen, wirklich verstanden habe ich weder das noch sonst was aus diesen Kapiteln. Ich dachte die ganze Zeit: Okay, wenn ihr meint! Aber ihr könnt mir hier viel erzählen!

Was ist jetzt mit der Katze?

Und was ist jetzt mit Schrödingers Katze? Die gute Nachricht: Das war ein reines Gedankenexperiment, es kam kein Tier zu Schaden. Aber ist sie nun tot oder lebt sie? Der Theorie nach könnte ja sowohl das eine als auch das andere zutreffen. Ganz unwissenschaftlich pragmatisch würde ich sagen: „Mensch, dann macht halt die Kammer auf und guckt nach, dann wisst ihre es!“

Weite Teile dieser Lektüre sind vielleicht doch an mich verschwendet. Ich bin nicht gescheit genug. Da hat auch das Glossar auf Seite 172 nicht mehr viel genutzt.

Sorgfältige Recherche, hilfreicher Anhang

Ein ausführliches Quellenverzeichnis zeigt, dass der Autor aufwändig recherchiert hat, um die 50 großen Entdeckungen auf so kleinem Raum schildern zu können. Sachkundige Unterstützer*innen hatte auch, wie seine Danksagung belegt. Dank des aussagekräftigen Inhaltsverzeichnisses und des Registers im Anhang findet man einzelne Beiträge später auch wieder.

Die farbigen Illustrationen (Collagen) von Jason Anscomb sind nicht in erster Linie informativer Natur. Sie greifen das Thema des jeweiligen Beitrags künstlerisch auf. So toll diese Graphiken auch sind – mir wäre es lieber gewesen, sie wären etwas kleiner ausgefallen, wenn dadurch die Schrift etwas größer geworden wäre!

Der Autor

Adam Hart-Davis ist Chemiker und studierte in Oxford, York und Alberta. Früh fing er an als Moderator im Radio und im Fernsehen zu arbeiten und sich populär mit historischen und wissenschaftlichen Themen zu beschäftigen. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen sowie 14 Ehrendoktorwürden. Er verfasste zahlreiche Bücher, schreibt regelmäßig für Zeitungen und hat eine Kolumne in Radio Times. Daneben setzt er sich für unterschiedliche Wohltätigkeitsorganisationen ein und fährt aus Überzeugung und mit Ausdauer Rad. Außerdem ist er um einige Ecken verwandt mit Königin Elisabeth II.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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