Claudia Hochbrunn: Ein Idiot kommt selten allein. Wie Sie Moralaposteln, Miesepetras und anderen schwierigen Zeitgenossen Paroli bieten. Hamburg 2023, Rowohlt Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-499-00936-5, Softcover, 203 Seiten, Format 12,5 x 1,6 x 18,9 cm, EUR 13,00 (D), EUR 13,40 (A), Kindle: EUR 9,99, auch als Hörbuch lieferbar.
„Dieser Band soll helfen, Menschen besser zu verstehen und Gräben zu überwinden, ohne sich dabei selbst den Idioten unterzuordnen. Wobei auch diesmal wieder gilt: Der Idiot liegt immer im Auge des Betrachters.“
(Seite 12)
Zugegeben: Der Buchtitel ist ziemlich plakativ. „Idiot“ steht hier für „schwieriger Zeitgenosse“, und das sind wir dann und wann alle. Das Buch hilft uns zu erkennen, zu welcher Kategorie der Mensch gehört, der uns gerade Ärger bereitet. Wir erfahren, was vermutlich sein Problem ist und warum. Und wir sehen, wie man mit ihm umgehen kann, dass es nicht allzu unerfreulich wird.
Neidhammel und andere Unsympathen
Nicht immer kann man den „Idioten“ einfach aus dem Weg gehen. Die gibt es ja überall und in verschiedensten Darreichungsformen:
Da sind die Miesepeter, die alles schlechtreden, was sie selbst nicht haben können sowie die Neidhammel, die genau dasselbe tun, nur aus anderen Gründen. Und es gibt übertriebene Optimisten, die als Kinder ständig auf jemanden Rücksicht nehmen mussten. Negative Gefühle durften sie nie zulassen und können das auch als Erwachsene nicht. Mit Trost und Mitgefühl kennen sie sich nicht aus. Sie rücken gnadenlos vermeintlich Positives in den Fokus, auch wenn das gerade nicht angebracht ist.
Missionare kennen wir alle: Das sind Menschen, die mit ihrer festen Überzeugung rücksichtslos alle Welt beglücken wollen – auch wenn die Welt das gar nicht möchte. 🙂 Im Grunde ist der Missionar ein Idealist, nur seine Methoden zünden nicht so recht. Noch eine Ecke radikaler ist der Fanatiker. Während der Missionar nur labert und nervt, kann der Fanatiker bei der Durchsetzung seiner Ziele gewalttätig werden.
Moralapostel oder Idealist?
Hochgradig manipulativ ist der Moralapostel. Er arbeitet damit, anderen Menschen ein schlechtes Gewissen einzureden: Wer nicht seiner Meinung ist, ist ein schlechter Mensch. Aber die Fallhöhe ist groß: Wenn man sein Geschwätz als pure Scheinheiligkeit entlarvt, ist er erledigt.
„Beim Moralapostel mögen die Aussagen auf den ersten Blick richtig klingen, das Problem besteht darin, dass es lediglich Vorwände sind, um eigene Interessen oder die eigene Faulheit zu kaschieren. Deshalb lohnt es sich stets, genau hinzuschauen, um einen Moralapostel von einem echten Idealisten zu unterscheiden.“
(Seite 62)
Nicht besonders nervig aber auch nicht sehr loyal ist der Mitläufer. Und manch einer, der als Nestbeschmutzergeschmäht wird, ist in Wahrheit ein „Nestreiniger“. Märtyrer wollen keine Lösung für ihre Probleme, sondern mit ihrem vorgeblichen Leid andere Menschen moralisch erpressen und manipulieren. Die Märchentante erfindet Geschichten über andere Leute, um sich beliebt und interessant zu machen. Der Aufschneider schönt mit erfundenen Storys seine eigene Biographie oder Qualifikation, um sich dadurch Vorteile zu verschaffen.
Immer eine gute Ausrede
Der Vermeider hält sich aus allem raus und geht Schwierigkeiten und Konflikten aus dem Weg. Das ist verständlich aber nicht immer fair. Während sich dieser Typus still und heimlich verdrückt, plärrt das Berufsopfer lauthals los, sobald man etwas von ihm will.
„Diese Masche funktioniert Immer und überall. Wenn man etwas tun soll, aber es nicht will, muss man nur eine unanfechtbare Ausrede haben. Es gehe eben nicht aus religiösen Gründen, aufgrund einer Weltanschauung oder se*uellen Identität oder ethnischen Herkunft.“
(Seite 109)
Wobei man hier natürlich unterscheiden muss zwischen legitimen und lediglich vorgeschobenen Gründen. Das ist nicht immer einfach.
Wo drückt den anderen der Schuh?
Es ist generell nicht leicht, die verschiedenen Idioten-Arten eindeutig zu bestimmen. Und Mischformen gibt es auch noch! Deswegen ist der Teil DIE BESTEN STRATEGIEN IM UMGANG MIT SCHWIERIGEN ZEITGENOSSENauch keine Gebrauchsanweisung im Sinne von „drücken Sie Knopf A, dann passiert B“. So funktioniert das beim Menschen nicht. Aber wertvolle Hinweise darauf, wo den anderen vermutlich der Schuh drückt und welche Vorgehensweise bei ihm verfangen könnte, finden wir hier schon.
Man wird nicht automatisch zum professionellen Menschenflüsterer, indem man dieses Buch liest – die Fülle der Tipps und Informationen kann man sich gar nicht alle merken – doch wenn man einen besonders schweren Fall aus dem eigenen Umfeld in einem Kapitel wiedererkennt, kann es nicht schaden, eine hier empfohlene Taktik mal auszuprobieren.
Bin ich wirklich so ein Depp?
Sehr interessant fand ich den Selbsttest WELCHER TYP BIN ICH?, auch wenn die Fragen dort mit leichtem Augenzwinkern gestellt werden. Ich hätte mich für eine ganz andere Art von „Idiotin“ gehalten als der Test es tut. Für eine Vermeiderin, zum Beispiel („Nicht mein Zirkus, nicht meine Affen!“) mit mittelschwerem missionarischem Einschlag („Wenn die Leut‘ nur nicht immer so einen unwissenschaftlichen Mumpitz glauben würden …!“). Aber der Test sagt, ich sei eine übertriebene Optimistin. – Ich? Im Ernst? Warum? Weil die Vorgeschichte passt? Oder weil das Lösen von Kommunikations- und Organisationsproblemen mein Beruf ist? Ich muss mal darauf achten, ob ich mich echt so aufführe wie die Deppen in dem Buch! Das wäre mir außerordentlich peinlich.
Besser miteinander auskommen
Ich habe mich also nicht nur über die unterhaltsamen Fallbeispiele amüsiert und über besonders treffende Formulierungen gegrinst, sondern über das Gelesene nachgedacht und ein bisschen was dazugelernt. Und das ist genau das, was die Autorin mit diesem Werk bezweckt:
„Es geht nicht darum, andere für ihr Verhalten an den Pranger zu stellen. […] Wenn wir unseren Blick dafür schärfen, warum ein Mensch bestimmte Verhaltensweisen anwendet, können wir ihm dabei helfen, dieses Defizit ohne das unerwünschte Verhalten auszufüllen. Freundlichkeit statt Gegenaggression ist das Stichwort.“
(Seite 201)
Wer werden uns nie alle liebhaben, das wäre illusorisch. Aber wir können sicher lernen, ein bisschen besser miteinander auszukommen.
Die Autorin
Claudia Hochbrunn ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie arbeitete viele Jahre lang in verschiedenen psychiatrischen Kliniken, beim Sozialpsychiatrischen Dienst, sowie im forensischen Maßregelvollzug mit Schwerverbrechern. Zum Schutz ihrer Patienten verfasst sie ihre Bücher unter Pseudonym.
Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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